Das Schmetterlingsmädchen - Roman
verschränkt, den Kopf gesenkt. Cora bewegte sich, und er blickte auf.
»Wo sind die Jungs?«, fragte er.
Einen beängstigenden Moment lang wusste sie es nicht. Dann fiel es ihr wieder ein.
»Bei Harriet und Milt«, sagte sie. »Ich habe mich nicht wohlgefühlt und bin deshalb wieder nach Hause gefahren.«
Sie starrten einander an. Alles war aus. Er war ein Monster. Dieser Mann, ihr Ehemann, war ein Monster. Ein Perverser.
»Es tut mir leid, Cora. Es tut mir so leid.«
»Du bist widerlich. Das ist ekelhaft und abstoßend.«
Er richtete sich auf und wandte den Blick ab.
»Es ist eine Sünde. Das steht in der Bibel.«
»Ja. Dessen bin ich mir bewusst.«
»Und in deinem eigenen Zuhause? Du hast diesen widerwärtigen Mann in unser Heim geholt?«
»Das hätte ich nicht tun sollen.« Er senkte die Stimme. »Er ist nicht widerwärtig.«
»Wie bitte?«
»Er ist nicht widerwärtig.«
Ihre Hand tastete nach der kleinen Kristallschale neben ihrem Bett. Sie schleuderte sie in seine Richtung, aber sie verfehlte ihr Ziel. Die Schale zersplitterte auf dem Boden. Er starrte die Scherben an und zupfte an den Enden seines Schnurrbartes.
»Das war doch derselbe Mann, der sich auf unserer Hochzeit betrunken und so furchtbar aufgeführt hat?« Ihre Stimme schraubte sich hysterisch in die Höhe. Sie konnte nichts dagegen tun. »Der mich beleidigt hat?«
»Normalerweise trinkt er nicht.« Er sah sie an. »Er fühlt sich deshalb wirklich elend. Das war ein schlimmer Tag für ihn.«
Sie hielt ihre Hand hoch, damit er nicht weitersprach. Ihr war immer noch kalt und unwohl wie vorhin in der Straßenbahn, aber das war nichts, gar nichts, verglichen mit der lähmenden Angst, die sie jetzt empfand. Und es wurde schlimmer. Denn es tat ihm nicht leid, nicht ernsthaft. Er war nicht beschämt oder lag auf Knien vor ihr.
»Was soll das heißen?«
Er starrte sie an.
»Warum war es schlimm für ihn?« Fast hätte sie gelacht. »War er eifersüchtig? Wollte er deine Frau sein?« Ihr spöttisches Lächeln verblasste, als sie die Qual auf seinem Gesicht sah. Sie wandte sich ab und klammerte sich an die Bettkante. Sie dachte an seine Hände in dem flammend roten Haar, auf der sommersprossigen Schulter.
Sie war eine Närrin. An jenem Freudentag war sie eine Närrin in Weiß gewesen, mit Orangenblüten im Haar.
»Schon damals? Als wir geheiratet haben?«
Er nickte. Er langte nach einem Stück Kristall, legte es auf den Tisch und starrte die gezackten Kanten an.
»Du hast es schon damals mit ihm gemacht?«
»Nein. Wir hatten uns darauf geeinigt, Schluss zu machen.«
»Schluss?« Es war, als würden die Wände des Hauses einstürzen wie die wackeligen Kulissen auf einer Varietébühne. »Wann hat es angefangen?«
»Wir haben uns während des Jurastudiums kennengelernt.«
Sie schüttelte den Kopf. Sie brachte kein Wort heraus. Darum also rührte er sie nicht an.
»Ich wollte dir nicht wehtun, Cora. Ich wollte dir helfen.«
Ihre Augen wurden schmal. »Du hast mich benutzt.«
»Nein. Nein, das habe ich nicht. Ich dachte, wir könnten es beenden. Ich dachte, ich könnte es. Ich habe es versucht. Du weißt nicht, wie sehr ich mich bemüht habe.«
Sie sah das zerbrochene Kristallstück auf dem Tisch an. Sie könnte es packen und sich die Kehle aufschlitzen. Oder ihm. Aber die Jungs. Sie waren im Wunderland, fuhren vielleicht gerade Karussell. Zum Abendessen würden sie nach Hause kommen, müde und liebesbedürftig. Was, wenn die beiden zusammen mit ihr nach Hause gekommen wären? Wenn sie und Harriet sie nicht überredet hätten, ohne ihre Mutter zu gehen, und einer von ihnen nach oben gelaufen wäre und gesehen hätte, was sie gesehen hatte? Diese Perversion in ihrem Zuhause?
»Du bist niederträchtig.«
»Cora. Sag so etwas nicht. Es stimmt nicht, und das weißt du auch.« Seine Augen glänzten und waren unverwandt auf sie gerichtet. »Du weißt es.«
»Ich weiß gar nichts. Du hast mir gesagt, dass du mich liebst. Du hast so aufrichtig geklungen.«
»Ich habe dich geliebt. Ich liebe dich.« Er schluckte. Eine Träne lief an seiner Wange hinunter, dann noch eine, und benetzte seinen Schnurrbart. Sie empfand kein Mitleid. Nichts.
»Ich liebe dich, Cora.«
»Und trotzdem machst du widerwärtige Sachen. Mit diesem Mann. Und deine eigene Frau rührst du nicht an.«
»Wir waren uns doch einig, dass wir keine Kinder mehr haben wollen.«
Sie schüttelte den Kopf. Sie würde sich diesen väterlichen Ton nicht bieten lassen, seinen
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