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Das Schmetterlingsmädchen - Roman

Das Schmetterlingsmädchen - Roman

Titel: Das Schmetterlingsmädchen - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Laura Moriarty
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Kaufmann den Brief am Küchentisch geschrieben, mit ihrer guten Füllfeder und ihrem kleinen Messingtintenfass in Form einer Maus, vielleicht später am Abend, als Cora schon im Bett lag. Sie hatte Cora nie erzählt, dass sie an die Nonnen geschrieben hatte. Wahrscheinlich hatte sie ihr keine falschen Hoffnungen machen wollen, und das mit gutem Grund, wie man sah. Falls die Nonnen überhaupt geantwortet hatten, was Cora bezweifelte, dann nur, um ihr mitzuteilen, dass es nichts mitzuteilen gab. Eltern unbekannt. Und obwohl das ein schwerer Schlag war, tat es gut, zu wissen, dass Mutter Kaufmann es versucht hatte, dass ihre Sorge um Cora größer gewesen war als jede Eifersucht oder Angst. Cora hob den Brief auf und hielt das dünne Papier direkt an ihren Mund und ihre Nase, als könnte sie etwas von Mutter Kaufmann einatmen. Als sie die Augen aufmachte und nach unten schaute, sah sie den anderen Brief.
    Er war auf gutem Briefpapier geschrieben, schwer und cremefarben, ohne Linien oder Verzierungen. Die Handschrift war gut leserlich, die Buchstaben in abwechselnd dicken und dünnen Linien geschrieben, die auf den häufigen Gebrauch einer Füllfeder hinwiesen.
    1. Mai 1902
    Liebe Schwestern!
    Es ist mir zu Ohren gekommen, dass ein braunäugiges Mädchen mit dem Vornamen Cora, geboren 1886 in der Florence Night Mission, in seiner frühen Kindheit in Ihrer Obhut gewesen sein könnte. Ich stehe der leiblichen Mutter des Kindes sehr nah. Sie sehnt sich danach, etwas über das Schicksal ihrer Tochter zu erfahren, muss aber auf Diskretion bestehen. Aus diesem Grund schreibe ich an ihrer Stelle. Seien Sie versichert, dass meine Freundin nicht die Absicht hat, Cora zu verstören oder sich in irgendeiner Weise in ihr Leben zu drängen. Aber sie hat mir erzählt, dass sie oft an das kleine Mädchen denkt, von dem sie sich trennen musste, und dass jede Information, ob gut oder schlecht, ihr ein gewisses Maß an Frieden schenken würde.
    Für den erfreulichen Fall, dass Sie in der Lage und bereit sind, mir Auskunft über Cora zu geben, lege ich einen frankierten und adressierten Umschlag bei. Wie Sie sehen, lautet die Rücksendeadresse auf den Hibernia Relief Fund. Ich entschuldige mich für meine Geheimniskrämerei und hoffe, dass Sie daran keinen Anstoß nehmen – meine Absicht ist einzig und allein, mir Fragen zu ersparen, die ein Brief von Ihrer vorzüglichen Organisation hervorrufen und mich somit vor die Wahl stellen würde, entweder die Fragenden zu belügen oder das Vertrauen meiner Freundin zu enttäuschen.
    Mit herzlichem Dank,
Mrs. Mary O’Dell
    10 Maple Street
Haverhill, Massachusetts
    Cora las den Brief noch einmal und dann noch einmal und zerknitterte dabei das Papier an den Rändern, so fest hielt sie es in ihren Händen. Es war nicht nur der Inhalt, der sie erschütterte und ihr Angst machte. Noch nie im Leben hatte sie eine schräge, enge Handschrift gesehen, die ihrer eigenen so ähnlich war. Diese Mary O’Dell, diese »Freundin«, schrieb ihr y genauso verschlungen wie Cora. Sie machte den Querstrich beim t auf derselben Höhe und im selben Winkel. Es war, als hätte Cora den Brief eigenhändig geschrieben.
    Oben hatten die Mädchen aufgehört zu singen; sie konnte die monotone Stimme des Priesters hören, auch wenn sie die Worte nicht verstand. Sie sah auf ihre Uhr. Fünf Minuten. Genug Zeit, um den Namen und die Adresse in den Notizblock, der sich in ihrer Handtasche befand, zu schreiben. Dann stand sie einen Moment lang regungslos da, bevor sie mit einem Prickeln der Genugtuung beide Briefe aus dem Aktenordner nahm und in ihre Tasche steckte. Sie steckte die Papiere wieder mit der Nadel zusammen, stellte den Ordner zurück und schloss die Schublade.
    Sie vergewisserte sich, dass in dem Zimmer alles so aussah, wie sie es vorgefunden hatte; das war sie dem Deutschen schuldig. Aber sie hatte wegen des Diebstahles kein schlechtes Gewissen. Sie bezweifelte, dass die Schwestern ihren Ordner je wieder aufschlagen würden, und was sie genommen hatte, gehörte ihr.
    Als der Deutsche sie sah, stand er auf und kam ihr auf den unteren Stufen entgegen.
    »Haben Sie gefunden, was Sie brauchen?«, fragte er leise und beugte sich zu ihr vor. Sein Atem roch nach gesalzenen Erdnüssen.
    »Ja!«, wisperte sie. Sie verspürte den verrückten Impuls, ihn zu umarmen und dabei zu riskieren, ihr Kleid mit Öl zu beschmieren, so überglücklich war sie. Sie legte ihre Hand an ihren Hals. »Ich habe eine Adresse! Einen Namen und

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