Das Schmetterlingsmädchen - Roman
Engagement bei Denishawn hoffte, sondern fest damit rechnete, und machte sich Sorgen, wie Louise reagieren würde, wenn sie nicht aufgenommen wurde, und wie sie (vielmehr sie beide) dann die lange Heimfahrt überstehen sollten. Es war nicht etwa so, dass Louise nie an Unsicherheit litt. Auf dem Heimweg vom Unterricht mäkelte sie ständig an sich herum, behauptete, dass ihre Sprünge zu unpräzise oder ihre Beine immer noch zu dick für eine Tänzerin waren. Gleichzeitig schien sie so auf Erfolg fixiert zu sein, dass Cora bezweifelte, ob sie einen Plan B oder auch nur die Fähigkeit hatte, ein anderes Leben zu akzeptieren, wenn die Dinge nicht so liefen wie geplant. Einerseits fand sie, dass sie Louise warnen sollte, dass im Leben nicht immer alles so klappte, wie man es sich erträumte, sei es auch nur, um sie auf die Möglichkeit einer Enttäuschung vorzubereiten, aber weil ihr andererseits klar war, dass ein derartiges Gespräch zu nichts führen würde, hielt sie den Mund.
Sie selbst hingegen machte sich sehr wohl auf eine Enttäuschung gefasst, als sie auf einen Brief aus Haverhill lauerte und nach dem Briefträger Ausschau hielt wie ein Habicht nach Beute. Ein Brief war ihre einzige Hoffnung. Sie war bereits in Greenwich Village gewesen und durch die gewundenen Straßen gegangen, bis sie 29 Bleecker Street fand, ein zweistöckiges Gebäude, das anscheinend in mehrere Wohnungen unterteilt worden war. Cora fragte den Gemüsehändler an der Ecke, ob er wusste, wo sie die Florence Night Mission finden könnte, und obwohl der Mann noch nie davon gehört hatte, übersetzte er ihre Frage einem älteren Mann, der neben einem Apfelfass saß, auf Italienisch und erhielt offensichtlich zur Antwort, dass sich die Florence Night Mission vor gut dreißig Jahren in dem Haus gegenüber befunden hätte, jetzt aber nicht mehr.
Und der alte Mann, so zerfurcht und zahnlos er war, musterte Cora interessiert von oben bis unten.
Die Florence Night Mission war also nicht mehr hier, eine Sackgasse. Sie versuchte, nicht allzu ungeduldig auf einen Brief zu warten. Selbst wenn Mary O’Dell noch lebte und unter derselben Adresse in Haverhill wohnte und überhaupt an einem Kontakt interessiert war, konnte es mehrere Tage dauern, bis Cora eine Antwort bekam. Sehr viel länger aber nicht. Cora hatte in ihrem Brief unmissverständlich darauf hingewiesen, dass sie nur noch wenige Wochen in New York sein würde. Entweder erhielt sie bald Nachricht aus Haverhill oder gar nicht. Sie wusste, dass von beiden Möglichkeiten die letztere die wahrscheinlichere war. Wenn es so war, würde sie es verwinden. Im Gegensatz zu Louise war es für sie nicht neu, Enttäuschungen zu erleben und festzustellen, dass nicht alles so lief, wie sie es sich vorstellte. Wenn sie keine Antwort bekam, wenn Mary O’Dell entweder tot oder aus einem anderen Grund unerreichbar war, würde Cora sich bemühen, zumindest für das Wissen dankbar zu sein, dass ihre Mutter, wer sie auch sein mochte, den Wunsch gehabt hatte, etwas über sie zu erfahren. Vielleicht würde sie sich damit begnügen müssen.
Sie versuchte sich abzulenken, indem sie den Rest der Woche Touristin spielte. Während Louise Unterricht nahm, besuchte Cora Grants Grabstätte. Sie verbrachte einen ganzen Tag im Naturhistorischen Museum und verschiedenen Kunstgalerien. Sie machte eine Fahrt in einem Doppeldeckerbus mit offenem Verdeck und nahm an einer Führung durch den Central Park teil, wo sie tatsächlich eine Schafherde sah, die friedlich weidete und die Stadtlandschaft ringsum nicht weiter zur Kenntnis zu nehmen schien.
Aber bei all diesen Unternehmungen fühlte sie sich sehr allein, ein Gefühl, das sie völlig unvermutet traf. Zu Hause war sie auch viel allein gewesen – tagsüber, wenn Alan arbeitete und die Jungs in der Schule waren. Es hatte ihr immer gefallen, etwas Zeit für sich zu haben, um zu lesen, nachzudenken oder das Haus zu verschönern. Aber sie hatte ihre Freundinnen gehabt und ihre ehrenamtlichen Tätigkeiten oder eine nette Plauderei mit Della oder einer Nachbarin, um sich die Zeit zu vertreiben. Was sie jetzt erlebte, war eine ganz andere Art von Alleinsein, unerbittlich und ausschließlich. Wenn sie durch die überfüllten Straßen ging, war sie für alle eine Fremde, ohne die geringste Chance, jemandem zu begegnen, der sie vielleicht kannte und ansprach. So musste man sich fühlen, wenn man Ausländer war, dachte sie, wenn niemand wusste, wer man war oder woher man kam. Es war,
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