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Das Schmetterlingsmädchen - Roman

Das Schmetterlingsmädchen - Roman

Titel: Das Schmetterlingsmädchen - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Laura Moriarty
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Kaffeekränzchen, und sie hatte selbst jede Menge davon gegessen, ohne zu ahnen, dass die Kekse in Riechweite des Waisenhauses gebacken worden waren. Die Straße in Kansas, in der sie lebte, mit ihren weitläufigen Rasenflächen und Schatten spendenden Bäumen, und dieses überfüllte Babel hier schienen zwei verschiedene Welten ohne den geringsten Berührungspunkt zu sein, und doch waren ohne ihr Wissen jahrelang Plätzchen von hier nach dort gewandert.
    »Was’sn da drin?« Ein nasser, barfüßiger Junge schob sich an Cora vorbei und schaute in den Kinderwagen. »Ein Radio! Funktioniert es?« Als Cora sich umdrehte, sah sie, dass noch mehr Jungen, alle mit nassen Haaren und schmuddelig, einige mit Schuhen, andere ohne, von hinten nachdrängten, um einen Blick in den Kinderwagen zu werfen. Es irritierte sie, dass sie ihr Angst machten. Der Älteste war höchstens zwölf, aber sie waren zu sechst und dann zu siebt, und sie umringten den Kinderwagen von allen Seiten und langten mit schnellen Händen hinein. Die anderen Erwachsenen auf dem Bürgersteig gingen weiter, als wäre nichts Ungewöhnliches geschehen.
    »Weg mit euch!« Joseph beugte sich vor und legte seinen Arm quer über den Kinderwagen. »Ich weiß, was ihr anstellt!« Die Jungen wichen zurück, aber nur ein paar Schritte, als lauerten sie nur auf die Gelegenheit, erneut zuzuschlagen. Cora wusste nicht, was sie machen sollten. Die Jungen waren schmutzig und rochen schlecht, aber sie hatten liebe Kindergesichter und waren so mager, und einer erinnerte sie an Howard, als er klein war, mit Apfelbäckchen und Augen, die in einem eigenen Licht zu erstrahlen schienen. Sie dachte gerade, wie traurig es war, dass ein Junge, der wie Howard aussah, so klapperdürr und schmutzig war, als sie spürte, wie jemand an ihrer Handtasche zerrte. Sie fuhr schnell herum und sah, dass ein Junge, nicht älter als fünf, sie anlächelte, obwohl er immer noch an ihrer Tasche zog. Sie hielt sie gut fest und befahl ihm zu verschwinden.
    »Okay, okay, da habt ihr was.« Joseph steckte eine Hand in seine Hosentasche. »Pennys, okay? Und einen Nickel für den, der ihn erwischt.« Er drehte sich um und ließ eine Hand voll Münzen den Bürgersteig hinunterrollen. Die Jungen rannten johlend hinterher.
    »Schnell weiter!« Er fasste Cora am Arm und schob mit der anderen Hand den Kinderwagen. Sie bogen so hastig um eine Ecke, dass ein Rad des Kinderwagens quietschte. Als sie die Hälfte der Straße hinter sich hatten, ließ er sie los, aber sie konnte immer noch spüren, wo seine Hand gewesen war und seine Finger sich durch den Stoff ihres Ärmels gedrückt hatten.
    »Sie haben einiges Kleingeld von Ihnen bekommen«, sagte sie. »Wie oft müssen Sie so etwas machen?«
    Er zuckte die Achseln. »Vielleicht besorgen sie sich etwas zu essen. Aber wahrscheinlich kaufen sie sich Süßigkeiten.«
    Cora sah auf ihre Handtasche. Nach dem Kauf des Radios war nicht mehr viel Geld darin. Aber sie wünschte, sie hätte daran gedacht, hineinzulangen und auch ein paar Münzen auf die Straße zu werfen. »Warum hatten sie alle nasse Sachen an?«
    Er warf ihr einen seltsamen Blick zu, als hätte sie eine Fangfrage gestellt. »Vom Schwimmen«, sagte er. »Der Fluss ist gleich da unten. Sie springen vom Kai runter und klettern wieder rauf, von einer Straße zur nächsten.«
    »Na ja, das ist doch gut. So können sie sich wenigstens abkühlen.«
    Er verzog das Gesicht. »Das Wasser ist völlig verdreckt. Beim Schwimmen müssen sie mit einem Arm den Müll wegschieben.« Er führte es Cora vor, indem er mit einem Arm durch die Luft fuhr und sich mit der anderen Hand Mund und Nase zuhielt. »Sie gehen trotzdem alle rein, um sich abzukühlen. Unsere Kinder nicht. Die Nonnen erlauben ihnen nicht, im Fluss zu schwimmen. Sie gehen einmal in der Woche mit ihnen ins öffentliche Bad, das ist alles.«
    Cora schwieg. Einmal in der Woche ein Bad, und das bei dieser Hitze. Und sie hatten noch Glück. Sie wusste, dass auch sie als Kind Glück gehabt hatte. Die Nonnen hatten ihr ein Dach über dem Kopf und genug zu essen gegeben – kein besonders schmackhaftes, aber immerhin nahrhaftes Essen –, und das war keine Kleinigkeit.
    »Wie heißt Ihre Tochter?«
    »Greta.«
    »Geht sie zur Schule? Das ist jetzt gesetzlich vorgeschrieben, nicht wahr?«
    »Die Nonnen geben ihnen im Haus Unterricht. Sie wollen nicht, dass die Mädchen in eine öffentliche Schule gehen. Außerdem müssen sie den Stundenplan an die Wäscherei

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