Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Schmetterlingsmädchen - Roman

Das Schmetterlingsmädchen - Roman

Titel: Das Schmetterlingsmädchen - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Laura Moriarty
Vom Netzwerk:
als wäre sie jemand geworden, der nicht nur unbekannt, sondern auch in keiner Weise bemerkenswert war, und es nagte an ihr, dass ihr Selbstwertgefühl so schwach war, dass sie die ständige Bestätigung von Menschen, die sie kannten, brauchte, um ganz sie selbst zu sein.
    Der Deutsche war allerdings auch Ausländer, und er schien sich wohl in seiner Haut zu fühlen.
    Am Freitag zahlte sie zehn Cent für den Expresslift ins oberste Stockwerk des Woolworth-Gebäudes, der so schnell war, dass die Fahrt allein schon ein Abenteuer war. Von der höchsten Stelle im sechzigsten Stockwerk konnte sie den Ausblick auf die Stadt genießen. Es war schon etwas Besonderes, so hoch oben zu sein, höher, als sie sich je vorgestellt hatte, und durch die Fenster der Aussichtskabine auf die terrassenförmigen und spitzen Dächer imposanter Bauten hinunterzuschauen, die alle mindestens doppelt so hoch wie die höchsten Gebäude in Wichita waren. Sie konnte die großen Brücken und die Freiheitsstatue in so weiter Ferne sehen, dass sie klein wirkten, und das Blau des Hudson Rivers rund um Manhattan und ganz weit weg, wie es schien, den Rand der Erde. Aber selbst in diesem Moment des Staunens kam ihr der Gedanke, dass hier in der Höhe und Stille hinter dem Glas der Aussichtskabine die Stadt endlich so fern aussah und klang, wie sie sie empfand. Und nachdem sie so viel Zeit mit sich selbst verbracht hatte, fragte sie sich, ob sie, wenn sie in Wichita von einer derartigen Höhe über die Stadt voller Menschen sah, die sie kannte und mochte, die ruhigeren Straßen und die Prärie, die ihr so vertraut war, dieses Gefühl von Distanz nicht genauso empfinden würde.
    Sie kaufte Ansichtskarten mit sepiafarbenen Bildern berühmter Sehenswürdigkeiten. Sie schrieb Alan und den Jungs und Viola, dass die Stadt noch größer war, als sie sich vorgestellt hatte, und dass die Zeit fast zu kurz war, um sich alles anzuschauen. Das stimmte. Andererseits graute ihr bei der Vorstellung, eine weitere Woche in dieser Einsamkeit zu verbringen, stundenlang durch die Stadt zu gehen, ohne mit jemandem zu sprechen, es sei denn, um »Danke« und »Verzeihung« und »Einen Fahrschein, bitte« zu sagen.
    Und immer noch keine Antwort aus Massachusetts, obwohl etliche Tage verstrichen waren. Jeden Nachmittag, wenn sie von Denishawn zurückkamen, sah Cora in dem kleinen, verschließbaren Brieffach im Erdgeschoss ihres Wohnhauses nach. Louise bekam einen Brief von Theo, aber keine Nachricht, stellte Cora fest, von ihrem Vater oder ihrer Mutter. Sie selbst bekam einen lieben Brief von Alan, in dem er ihr schrieb, dass sie ihm fehlte, Wichita im Juli aber eben Wichita im Juli wäre und sie nicht viel verpasste. Er schrieb, dass er nach Winfield gefahren war, um die Jungs zu besuchen, und konnte berichten, dass sie beide gesund und munter, wenn auch ein wenig desillusioniert vom Landleben waren und sich auf ihre eher sitzende Tätigkeit am College freuten. Sie ließen ihr liebe Grüße ausrichten, schrieb er, und hofften, sie würde verstehen, dass sie ihr nur deshalb nicht schrieben, weil sie von morgens bis abends arbeiteten und sofort einschliefen, wenn sie in ihren Betten lagen. Beide scheinen deinen jungen Schützling zu kennen, fuhr er fort. Sie haben gesagt, dass Louise B. ein echter »Hingucker« ist und dass jeder weiß, wer sie ist. Aber sie bezweifeln, dass L. sie kennt, weil sie sich für keinen der Jungen auf der Schule zu interessieren schien. Ist das zu fassen? Ein junges Ding, das sogar unsere zwei Prachtkerle ignoriert? Ich kann mir denken, dass deine Aufgabe nicht ganz leicht ist, und wünsche dir viel Glück.
    Und er schickte natürlich Geld. Er hatte eine ansehnliche Summe auf eine Filiale der Western Union überwiesen und ihr ans Herz gelegt, das Geld gleich abzuheben. Er hoffte, dass sie sich etwas Hübsches kaufen ging, schrieb er, etwas, womit sie daheim angeben konnte.
    Eigentlich sollte sie sich darüber freuen. Sie hatte in den Schaufenstern der großen Kaufhäuser auf dem Broadway so viele schöne Sachen gesehen: Nachmittagskleider aus Crêpe de Chine und Hüte mit Taftschleifen oder Federschmuck. Zu Hause hatten oft schon ein neues Seidenkleid oder ein schicker Schuh ihr ein tröstliches Gefühl vermitteln können, und natürlich war es eine Genugtuung, mithilfe eines guten Korsetts einen Knopf um eine schmale Taille zu schließen. Aber jetzt deprimierte sie der Gedanke nur, etwas zum Anziehen einkaufen zu gehen, auch wenn es teure Sachen aus

Weitere Kostenlose Bücher