Das Schmetterlingsmädchen - Roman
ist davon jemals krank geworden.«
Ihre Miene verdüsterte sich. »Sie haben in einer Kneipe gearbeitet?«
Er stellte seine Flasche auf den Tisch. »Ich war Besitzer eines Biergartens. In Queens. Es war ein schönes Lokal, wo niemand erschossen wurde, wo es keine Gangster gab.« Er verschränkte seine Arme. »Die Leute kamen mit ihren Kindern, mit kleinen Babys. Was soll daran schlecht sein? Niemand hat sich betrunken. Meine Frau kam zum Abendessen mit dem Baby.«
»Oh«, sagte Cora. Sie hätte sich denken können, dass es eine Ehefrau und ein Baby gab, und jetzt war es ihr noch peinlicher, wenn sie daran dachte, wie sie sich in der vergangenen Woche benommen und sich jetzt geziert hatte, mit ihm etwas trinken zu gehen. Sie versuchte sich vorzustellen, mit einer ganzen Familie in den beengten Räumlichkeiten über dem Schuppen zu leben. Kein Wunder, dass er verbittert war, wenn er früher einmal ein eigenes Lokal besessen hatte. Aber irgendjemand musste immer unter Veränderungen leiden, auch wenn es gute waren. Und was er auch glauben mochte, ein Biergarten klang nicht nach dem richtigen Ort für ein Kleinkind.
Er machte eine wegwerfende Handbewegung. »Schon gut. Darüber wollte ich eigentlich nicht mit Ihnen reden.« Er saß so nahe beim Ventilator, dass der Luftzug einen Schweißtropfen quer über seine breite Stirn blies. »Ich möchte über Ihre Akte reden. Ich weiß, dass es mich nichts angeht. Aber ich habe Sie reingelassen, und jetzt fühle ich mich verantwortlich.«
»Verantwortlich?« Sie hielt die Flasche an ihre Lippen.
»Ja.«
»Für mich?«
»Ja.«
Fast hätte sie gelacht. »Nun, das ist sehr lieb von Ihnen.« Sie hätte sich gern wie er auf ihrem Stuhl zurückgelehnt, aber ihr Korsett ließ es nicht zu. »Ich komme schon zurecht, glauben Sie mir. Ich bin erwachsen.«
»Das sehe ich.«
Sie blickte auf. Sein Gesicht verriet nichts. Sie wusste nicht, ob seine Bemerkung zweideutig gemeint war. Gerade eben hatte er von seiner Frau und seinem Kind gesprochen. Aber sie hatte einiges über europäische Männer gehört.
Er stemmte die Ellbogen auf den Tisch und lehnte sich vor. »Ich wollte bloß … Die Nonnen haben ihre Gründe, warum sie die Akten geheim halten. Ich arbeite jetzt schon seit ein paar Jahren dort, und ich habe die Leute gesehen, die ihre Kinder ins Heim bringen, und die Leute, die zu Besuch kommen.«
»Bitte!« Sie hob ihre Hand. »Den Vortrag hat mir schon die Schwester gehalten. Ich weiß, dass meine Mutter vielleicht eine Trinkerin war oder eine Frau … mit schlechtem Ruf. Das alles ist mir bewusst, danke.« Ihre Tasche mit ihrem wundervollen neuen Inhalt lag dicht neben ihr. »Aber das ist mir egal. Ich habe eine Adresse. Ich bin hergekommen, um Antworten zu bekommen, und jetzt könnte ich sie finden. Das ist das Einzige, worauf es mir ankommt.«
»Gut.« Seine Augenbrauen senkten sich hinter dem silbernen Brillengestell. Mehr schien er von ihr nicht zu wollen, aber jetzt war sie es, die reden wollte, sich bei einem anderen Menschen aussprechen wollte, bei diesem Fremden, ihrem unerwarteten Vertrauten.
»Es ist mir wirklich egal, ob sie eine Trinkerin oder … oder sonst was ist. Aber wissen Sie, sie könnte genauso gut ein anständiger Mensch sein. Ich kann mich an die Eltern erinnern, die zu Besuch kamen. Ein paar von ihnen waren einfach nur arm. Andere waren krank. Nicht alle waren schlechte Menschen.«
»Das will ich nicht hoffen.« Er nickte und starrte auf den Tisch. »Meine eigene Tochter ist in dem Heim untergebracht.«
Cora legte den Kopf zur Seite. »Ihre Tochter? Sie …« Sie wusste nicht, was sie sagen sollte. Wenn sie seine Tochter war, war sie keine Waise.
»Meine Frau ist gestorben. An Influenza.«
»Das tut mir sehr leid«, sagte Cora. Sie hatte gehört, dass die Grippe vor allem in New York schlimm gewütet hatte. In Kansas waren 1918 über zehntausend Menschen gestorben, darunter auch Alans Schwester und ihr Mann in Lawrence. Abgesehen vom Pfarrer hatten bei der Beerdigung alle Gäste Papiermasken getragen, und Alan hatte trotz seines Kummers Howard angebrüllt, weil er seine Maske nach dem Trauergottesdienst abgenommen hatte. Als sie nach Wichita zurückkamen, hatten sie nicht einmal gewagt, in die Straßenbahn zu steigen, und Cora hatte solche Angst um ihre Jungs gehabt, dass sie die beiden monatelang nicht zur Schule gehen ließ.
»Wie gut, dass Sie überlebt haben«, sagte sie. »Welch ein Segen für Ihre Tochter.« Sie wusste nicht, was sie
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