Das Schneemädchen (German Edition)
übermütig den Arm um einen Stamm. Sie schien nicht darauf zu achten, wohin sie ging oder woher sie kam, glich einem sorglos spielenden Kind im Wald und war doch fast schon eine erwachsene Frau. Der blaue Mantel betonte ihre Taille, und die Haare fielen ihr lang und blond über den Rücken herab.
Du warst da, sagte sie, als ich den Schwan getötet habe.
Sie sah beim Sprechen nicht zu ihm hin, sondern lief leichtfüßig weiter über den Schnee, und dafür immerhin war Garrett ihr dankbar. Er brauchte nicht zu antworten. Er musste ihr lediglich folgen und hoffen, dass sie nie wieder das Wort an ihn richtete. Eine Zeitlang schritten sie stumm dahin.
Dein Pferd wird hier oben nicht mehr lange durchhalten, sagte sie nach einer Weile. Der Schnee ist zu tief.
Garrett blieb stehen und rieb sich den Nacken. Verflucht noch mal, warum musste sie ausgerechnet damit ankommen.
Das weiß ich, sagte er. Meinst du vielleicht, das wüsste ich nicht? Ich brauche ein Hundegespann. Aber meine Leute lassen mich keins haben. Trotzdem, Jackson ist ein braves Pferd. Ich wollte ihn nur noch eine Zeitlang mitnehmen und dann mit Schneeschuhen laufen. Das wäre schon gegangen.
Wenn du nicht dazwischengekommen wärst, hätte er gerne noch angefügt, aber sein quengeliger Ton war ihm selbst zuwider – er klang wie ein verwöhnter kleiner Junge, der seinen Willen nicht bekam. Warum konnte er nicht einfach den Mund halten, wie ein richtiger Mann es täte?
Da, sagte das Mädchen und zeigte durch die Bäume auf Jacks und Mabels Gehöft. Er sah die weiß verschneiten Felder und Rauch, der sich aus dem Ofenrohr kräuselte.
Er nickte und stieg auf. Unten in der Lichtung ließ er das Pferd kehrtmachen und suchte zwischen den Bäumen nach dem Mädchen, ihrem blauen Mantel und ihren glänzenden, hellen Haaren, doch sie war fort.
Kapitel 41
Faina kam, eine Kiepe aus Birkenrinde mit Elchlederriemen auf den Rücken geschnallt. Vor der Blockhütte stellte sie sie im Schnee ab, nahm einen Fisch heraus und hielt ihn Jack hin.
Es war die abscheulichste Kreatur, die er je gesehen hatte: einen guten halben Meter lang, die Haut marmoriert und schleimig, der Leib feist und schlaff wie der einer Nacktschnecke. Sie hatte wulstige Lippen und einen breiten, flachen Kopf mit einem Bartfaden am Kinn. Das Ganze erinnerte an eine in jeder Hinsicht unförmige Kaulquappe.
Großer Gott, was ist das denn?
Eine Quappe, sagte sie. Die habe ich eben unter dem Eis gefangen. Zum Abendessen.
Ich glaube nicht, dass Mabel so etwas in der Küche duldet, sagte Jack.
Oh.
Nicht doch, ich mache bloß Spaß. Ich habe noch nie eine gesehen. Kann man die wirklich essen?
Ja, sagte sie. Sie schwimmen im tiefsten, kältesten Wasser. Sie sind schwer zu fangen, aber sie schmecken besser als alles andere.
Na, dann sollten wir die hier wohl mal ein bisschen herrichten.
Er ging mit dem Mädchen hinunter zum Bach.
Ihr habt einen Fischotter, sagte Faina und deutete zum anderen Ufer.
Jack sah die Spuren, die um einen umgestürzten Baum führten.
Ein Otter, sagst du? Ist mir nie aufgefallen.
Sie hockte sich neben ein Eisloch, zog ein Messer aus der Scheide an ihrem Bein und schlitzte den Fischbauch auf.
Komm, lass mich das machen, sagte Jack.
Sie blieb auf den Knien, pulte die Gedärme aus dem Fisch und warf sie ins fließende Wasser. Dann griff sie tief in den Leib hinein und schabte die Niere vom Rückgrat ab.
Warum geht Garrett in die Berge?, fragte sie, während sie das gerinnende Blut von den Fingerspitzen schüttelte.
Hast du ihn gesehen?
Ja. Oft. Warum geht er da hoch?
Stellt wohl Fallen auf.
Oh.
Du brauchst keine Angst vor ihm zu haben. Er will dir nichts Böses.
Gut, sagte sie.
Sie legte den Fisch in den Schnee und wusch sich das Blut von den Händen.
Kapitel 42
In den Nächten suchte das Mädchen Garrett heim. Nachdem sie ihn aus dem Schneesturm geführt hatte, war er vollkommen erschöpft nach Hause zurückgekehrt und hatte dennoch keinen Schlaf gefunden. Auch in den folgenden Wochen schlief er schlecht. Wenn er im Bett lag, dachte er an ihre blauen Augen und ihre feinen Gesichtszüge, doch stets erschienen sie ihm verschleiert hinter rieselnden Flocken oder verdeckt von ihren wallenden blonden Haaren, sodass er sie nie deutlich vor sich sah. Er versuchte, sich an die Form ihrer Lippen zu erinnern, fragte sich, wie es wohl wäre, sie zu berühren. Und mehr als alles andere wünschte er sich ihren Duft zurück, schwach und doch zutiefst vertraut.
Immer wieder
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