Das Schneemädchen (German Edition)
suchte er in den Gebirgsausläufern nach ihren leichten Spuren im Schnee. Die anderen, und vielleicht auch sich selbst, machte er glauben, er wolle Pelztiere fangen, stellte aber tagelang keine einzige Falle auf und vergaß mitunter sogar, Köder und Schlingen mitzunehmen. Er dachte nicht mehr an Vielfraße, sondern nur noch an das Mädchen, und die Lider wurden ihm schwer, so angestrengt hielt er Ausschau nach einem blauen Mantel oder dem Aufblitzen von weißblondem Haar. Er vermutete, dass sie sich versteckt hielt, gab die Suche aber dennoch nicht auf.
Wie das Mädchen vorhergesagt hatte, war der Schnee in den Bergen schon bald zu hoch für sein Pferd, und er stieg auf Schneeschuhe um. Manchmal übernachtete er im Freien unter einer Zeltplane und kochte sich etwas über offenem Feuer. In diesen Nächten plagte die Schlaflosigkeit ihn am ärgsten. Er starrte in die schwarze Kälte und lauschte auf das leiseste Geräusch, überzeugt, dass das Mädchen ganz in der Nähe war, ihn zwischen den Bäumen hervor beobachtete, und das ein oder andere Mal fand er am anderen Morgen ihre Fußabdrücke. Doch immer noch zeigte sie sich ihm nicht. Bis zu dem Tag, an dem er verzweifelt und beflügelt zugleich neben ihrer frischen Spur stand und ihren Namen rief.
Faina! Faina! Ich will nur mit dir reden. Darf ich das nicht?
Die Bäume standen still und stumm. Der Himmel war bewölkt und verhieß mehr Schnee.
Faina! Ich weiß, dass du da bist. Willst du nicht herauskommen?
Hier bin ich, sagte sie und trat hinter einem schneebeladenen Fichtenzweig hervor. Was willst du von mir?
Ich weiß nicht. Seine Ehrlichkeit überraschte ihn selbst. Er fühlte sich plötzlich kühn und verwegen. Ich weiß nicht, sagte er noch einmal.
Sie kniff ihre blitzblauen Augen zusammen, wich aber nicht zurück.
Hast du noch andere Vielfraße gesehen?, fragte er, weil ihm nichts Besseres einfiel. Das Mädchen schüttelte den Kopf.
Und du? Hast du deinen Vielfraß gefunden?
Nein. Offen gestanden, habe ich noch nie einen gefangen.
Oh.
Ich wollte es aber immer.
Bist du deswegen hier?
Nein.
Warum dann?
Wegen dir. Glaube ich.
Das Mädchen wurde unruhig, ihr Blick wachsam, doch sie hielt Garrett stand.
Es tut mir leid wegen deines Fuchses. Ich hätte ihn nicht schießen sollen. … Warte. Geh nicht weg. Willst du nicht mit mir reden? Ich bin noch nie jemandem wie dir begegnet.
Sie hob die Schultern. Ein eigenartiger Ausdruck huschte über ihr Gesicht, und er vermeinte, ein Lächeln zu erkennen.
Soll ich dir etwas zeigen?, fragte sie.
Ja.
Mit einem Satz war sie um die Fichte herum verschwunden. In Sorge, sie ganz aus den Augen zu verlieren, lief er ihr nach, so gut er es mit den Schneeschuhen vermochte, folgte ihr zwischen den Bäumen hindurch und weiter bergan durch Espen und Blaubeersträucher. Sie erreichten die Baumgrenze, wo über ihren Köpfen die verschneiten Hänge zu felsigen Gipfeln hinaufführten. Er war schweißgebadet und spürte ein Brennen in der Lunge, das Mädchen hingegen schien unermüdlich. Sie wartete auf einem windumtosten Felsblock, bis er keuchend zu ihr emporgekraxelt war.
Faina hatte ihre Fäustlinge ausgezogen und legte einen Finger an die Lippen. Dann deutete sie seitlich über den Hang. Garrett sah nichts außer Weiß. Es war beschämend. Für Wild hatte er immer einen scharfen Blick gehabt, doch diesmal musste er den Kopf schütteln, nein, er sah nichts.
Sie lächelte, nicht unfreundlich, kniete sich neben den Felsen und holte aus ihrer Manteltasche eine Handvoll runder glatter Steine, alle etwa gleich groß, als hätte sie sie sorgsam ausgewählt. Sie suchte einen heraus, stand auf und schleuderte ihn über den Schnee. Garrett hörte ein ersticktes Kreischen und sah etwas Weißes flattern. Das Mädchen warf noch einen Stein und traf einen weiteren Vogel. Ohne zu Garrett hinzusehen, spurtete sie über den Hang zu ihrer Beute. Um ihre Füße erwachte schlagartig ein Schwarm vollkommen weißer Schneehühner mit lärmendem Flügelschlag. Hunderte – mehr Schneehühner, als Garrett je auf einmal gesehen hatte – füllten den Himmel und zerstreuten sich in alle Richtungen; manche landeten nur ein paar hundert Meter weiter und verschmolzen weiß mit Weiß, andere flogen schwerfällig über den nächsten Felskamm.
Das Mädchen lief lächelnd auf ihn zu und hielt zwei tote Schneehühner an ihren gefiederten Zehen. Verärgert setzte er sich mit gekreuzten Armen in den Schnee. Diesen Trick hatte er auch schon versucht,
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