Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Schneemädchen (German Edition)

Das Schneemädchen (German Edition)

Titel: Das Schneemädchen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eowyn Ivey
Vom Netzwerk:
Dutzende Steine geschleudert und schließlich einen Vogel halb erwischt, den er dann doch mit der Flinte erledigen musste.
    Das wolltest du mir also zeigen?, fragte er.
    Nein. Bist du jetzt ausgeruht?
    Statt ihn, wie er erwartet hätte, höher in die Berge hinaufzuführen, begann sie, den Hang zu queren. Wo sie ihre Füße hinsetzte, bildeten sich winzige Schneebälle, die den Hang hinunterkugelten und gepunktete Spuren hinterließen. Das steile Gelände war mit Schneeschuhen nur schwer zu begehen, doch ohne sie würde er bis zur Brust in den Schnee einsinken, das wusste er und kämpfte sich weiter. Bald stiegen sie in eine dicht mit Erlengestrüpp bewachsene, schroffe Schlucht ab.
    Am Fuß einer kleinen Kuppe ließ das Mädchen sich auf ein Knie nieder und bedeutete ihm abermals, sich still zu verhalten. Der Hügel war tief verschneit bis auf einen mannskopfgroßen Fleck. Komm näher, sagten die Hände des Mädchens.
    Es war ein düsteres Erdloch, Teil eines weit größeren, fast gänzlich mit Schnee bedeckten Eingangs. Die Erkenntnis jagte ihm einen kalten Schauer über Nacken und Kopfhaut: Sie hatte ihn zu einer Bärenhöhle geführt.
    Garrett kauerte sich auf seinen Schneeschuhen neben sie und beugte sich zu dem Loch nieder. Er glaubte, Wurzeln und schwarze Erde auszumachen, doch es war darin so finster, dass er sich nicht sicher war. Es roch weder nach modriger Höhle noch faulig, wie er erwartet hatte, sondern nur nach Schnee und Erde, und vielleicht auch nach feuchten Blättern und Fell. Er hörte nichts außer seinem eigenen Atem.
    Ist er dadrin?, fragte er das Mädchen stumm, mit ausgestrecktem Zeigefinger und hochgezogenen Brauen. Sie nickte, ihre Augen blitzten, und ihre Hand im Fäustling legte sich warnend auf seine Schulter. Selbst durch den schweren Wintermantel hindurch spürte er den Druck ihrer Finger, und ihm wurde schwindlig davon. Langsam entfernten sie sich wieder von der Höhle und wanderten stumm hinunter zum Bachbett.
    Ist er dadrin?, flüsterte Garrett. Jetzt gerade?
    Ja. Ich habe zugesehen, wie er die Höhle gegraben hat, von da oben. Das Mädchen deutete auf den Hang am anderen Bachufer.
    Ein Grizzly?, fragte Garrett. Sie nickte.
    Ein Männchen?
    Nein. Eine Mutter, mit zwei Jungen.
    Das gefährlichste Tier in der Wildnis überhaupt, dachte Garrett. Er hatte Grizzlys an Berghängen beobachtet, das Spiel der Muskeln auf ihren buckligen Rücken gesehen, das ihr Fell Wellen schlagen ließ. Jede Begegnung, auch die flüchtigste, hatte ihm tiefe Ehrfurcht eingeflößt. Doch noch nie war er so nahe herangekommen. Nur eine Schneedecke hatte ihn von einer Grizzlybärin getrennt, die schlaftrunken und kraftstrotzend ihre Jungen säugte, die dicken Tatzen mit den langen Krallen träge von sich gestreckt.

Kapitel 43
    Der Junge stand vor der Tür, mit Schnee bedeckt, neben sich einen halbwüchsigen Welpen an einem Strick, und fragte Mabel nach Faina.
    «Wie bitte?»
    «Faina? Ist sie da?»
    «Nein, Garrett, wie kommst du darauf? Sie ist nicht hier. Aber komm doch herein.»
    Er blieb auf der Schwelle stehen und sah zu dem schwarzweißen Welpen mit den lustigen Knickohren hinunter.
    «Ich denke, du kannst deinen neuen Freund auch mit hereinbringen», sagte Mabel, winkte sie durch die Tür und schloss sie rasch, damit nicht zu viel Schnee hereinwehte.
    Der Welpe wedelte wie wild mit dem Schwanz und versuchte, Mabel auf den Schoß zu springen, als sie sich zu ihm herabbückte. Sie lachte und ließ ihn ihr Gesicht abschlecken, kam dann wieder hoch und wischte sich die Hände an der Schürze ab.
    «Du hast dir also einen Welpen zugelegt?»
    «Nein. Ma und Pa erlauben mir doch keine Schlittenhunde», sagte er. Er stand noch immer bei der Tür und scharrte unbehaglich mit den Stiefeln. «Nein, eigentlich, also, ich hab ihn für sie mitgebracht.»
    «Doch nicht für Faina?»
    «Meinen Sie, sie mag ihn nicht?»
    «Oh. Na ja. Es gibt vermutlich kaum ein Kind, das von einem Welpen nicht hingerissen wäre, aber ich bin mir nicht sicher …»
    «Sie ist kein Kind.»
    Sein Ton war unerwartet gereizt, fast schon ein wenig abweisend.
    «Nein, da hast du wohl recht, sie ist kein Kind mehr, nicht wahr?»
    Mabel hatte an Faina eine Veränderung wahrgenommen. Ihre Wangen waren schmaler geworden, was die Knochen stärker hervorhob, und ihre Gliedmaßen hatten sich anmutig gestreckt. Sie wirkte größer und selbstsicherer. Bald sechzehn oder siebzehn Jahre alt, schätzte Mabel.
    «Erwarten Sie sie vielleicht heute

Weitere Kostenlose Bücher