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Das Schneemädchen (German Edition)

Das Schneemädchen (German Edition)

Titel: Das Schneemädchen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eowyn Ivey
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Stunden durchs Haus gestrichen.
    Beim Weg über die schlammige Weide fielen Jack Stiefelabdrücke ins Auge. Er schloss das Tor und folgte der Spur zum nächsten Feld, wobei er sich fragte, ob er nicht vielleicht zuerst das Gewehr hätte holen sollen.
    Von der Sonne geblendet, stand er am Rain und beschirmte die Augen mit der Hand.
    Da war Garrett und beackerte mit dem Pflug den äußersten Rand des Feldes.
    Er glaubte zu sehen, dass der Junge ihm zunickte, doch auf die Entfernung war es nicht mit Sicherheit zu sagen. Jack wollte ihm winken, vergrub dann aber die Hand in der Tasche, machte auf dem Absatz kehrt und ging zurück.

    «Du bist schon wieder da?»
    «Das Pferd war weg. Ich bin es suchen gegangen.»
    Mabel hob die Brauen.
    «Und? Hast du es gefunden?»
    «Ja, hab ich.»
    «Und?»
    «Garrett hat es genommen. Er pflügt ein Feld.»
    «Ach, tatsächlich?» Mabel presste die Lippen zusammen – vielleicht, um sich ein Lächeln zu verkneifen oder nicht mit einem «Siehst du wohl» herauszuplatzen.
    «Ich weiß, ich weiß. Du hast es ja gesagt.»
    «Ich hatte einfach Vertrauen in ihn. Er ist ein junger Mann, der zu seinem Wort steht.»
    «Na, wenn er zum Mittagessen reinkommt, dann richte ihm von mir aus, dass das nördliche Feld einen zweiten Durchgang braucht. Es war noch zu schlammig, als ich es damit versucht habe.»
    «Das könntest du ihm auch selbst sagen», erwiderte sie sanft.
    «Nein, da liegst du falsch.»
    Mabel seufzte.
    «Hör zu, ich spiele nicht bis in alle Ewigkeit für dich die Botschafterin. Früher oder später werdet ihr zwei miteinander reden müssen.»
    «Wir werden sehen», sagte er.

Kapitel 48
    Ein kalter Nebel verhüllte den Frühlingsmorgen, doch es trieb sie beide aus dem Haus; das Mädchen war angespannt und zappelig wie ein Tier im Käfig. Mabel wusste, dass etwas nicht stimmte und Faina ihr vielleicht ihr Herz ausschütten würde, wenn sie einen strammen Spaziergang unternahmen, nur sie beide. Sie folgten den Fahrspuren um die Felder, schritten Seite an Seite zügig dahin, bis es aus ihr heraussprudelte.
    Muss ich sterben?, fragte das Mädchen, ohne Mabel anzusehen.
    Mabel blickte verwirrt zu ihr hin.
    Wie kommst du darauf?
    Ich habe geblutet. Jeden Monat, immer wieder, und mich gekrümmt vor Schmerz.
    Warum hast du mir denn nichts davon gesagt? Nein, es ist meine Schuld. Ich hätte mit dir darüber sprechen sollen. Hast du jetzt wieder geblutet?
    Ich dachte schon, ich wäre doch nicht krank, weil die Blutung aufgehört hat und nicht wiedergekommen ist. Aber jetzt wache ich morgens auf und esse etwas und kann nichts bei mir behalten. Und den ganzen Tag will ich mich am liebsten nur hinlegen und schlafen.
    Endlich begriff Mabel; sie ging mit dem Mädchen zum Gartentisch und setzte sich auf die Bank.
    Ihr bekommt ein Baby, du und Garrett. Du trägst sein Kind in dir.

    Der Nebel hing tief über dem Flussbett, und ihr Atem drang in weißen Schwaden aus ihren Mündern. Stocksteif und kerzengerade stand Faina da und blickte zu den fernen Bergen.
    Ich weiß, das erschreckt dich, Kind, aber du brauchst nicht zu verzagen. Ich glaube fest daran, dass du es schaffst.
    Wie soll das gehen? Was weiß ich von Babys oder von Müttern?
    Das Mädchen sah Mabel an, die Augen gezeichnet von Kummer und Verzweiflung.
    Aber du, sagte sie plötzlich. Du musst doch etwas von Babys verstehen. Bitte. Du musst einfach. Nimm du es und sei seine Mutter.
    Mabel faltete die Hände im Schoß.
    Jahrelang hatten ihre Arme vor Sehnsucht geschmerzt. Nur ganz selten gestand sie sich zu, dem Drang nachzugeben; dann setzte sie sich auf einen Stuhl und stellte sich, die Arme vor der Brust ineinandergelegt, mit geschlossenen Augen vor, einen Säugling zu wiegen – ein warmes, vertrauensvolles Etwas, dessen Haut weicher war als Blütenblätter und dessen Köpfchen nach Milch und Talkumpuder roch. Nachdem sie andere Frauen mit kleinen Kindern beobachtet hatte, wusste sie schließlich, wonach es sie verlangte: nach dem Freibrief – nein, nach der zwingenden Notwendigkeit –, so ein winziges Ding an sich zu drücken, zu küssen und zu liebkosen. Mütter, die ein Wickelkind in den Armen hielten, hauchten ihm oftmals zerstreut einen Kuss auf die Stirn. Andere wuschelten ihren Kleinen im Vorbeigehen durchs Haar oder nahmen sie auf den Arm und drückten ihnen schmatzende Küsse auf Kinn und Hals, bis die Kinder vor Wonne quiekten. Wann sonst im Leben durfte eine Frau schon so unverstellt und maßlos lieben?
    Und nun wurde

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