Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Schneemädchen (German Edition)

Das Schneemädchen (German Edition)

Titel: Das Schneemädchen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eowyn Ivey
Vom Netzwerk:
Fenster und sah die beiden Männer neben dem Holzstoß stehen. Ihre Worte konnte sie nicht hören, erkannte nur, dass erst Jack sprach, dann Garrett. Jack fuchtelte mit den Händen, und der junge Mann ließ die Schultern hängen. Dann richtete er sich wieder auf und redete lebhafter. Mabel stand am Fenster, eine Hand an der Scheibe. Und auf einmal, scheinbar ohne Vorwarnung, verpasste Jack Garrett einen Kinnhaken, der ihn zu Boden gehen ließ.
    Vielleicht lag da ein Irrtum vor. Sie hatte noch nie erlebt, dass Jack die Hand gegen jemanden erhoben hätte, und betete, sie möge die Szene falsch gedeutet haben. Doch nun setzte Garrett sich auf und rieb sich mit dem Handrücken über das Kinn. Jack hielt ihm die Hand hin, vielleicht um ihm aufzuhelfen, aber der junge Mann wehrte ab und rappelte sich allein hoch.
    Als Jack ins Haus kam, wechselten er und Mabel kein Wort. Sie führte ihn zur Waschschüssel, badete seine anschwellenden Fingerknöchel und umwickelte sie mit einem kalten, nassen Tuch. Draußen hörte sie Garretts Pferd vom Hof galoppieren.

Kapitel 46
    Diesen Sommer ziehen wir den Fluss hinunter, zum Meer hin.
    Ja?
    Da fangen wir Lachse, wenn sie frisch aus dem Salzwasser kommen und noch ganz silbrig glänzen. Wir machen uns ein Feuer aus Treibholz und schlafen im Sand. Vielleicht kommen wir bis ganz zum Meer.
    Da bin ich noch nie gewesen.
    Es ist riesengroß.
    Ich weiß. Ich habe es von den Bergen aus gesehen.
    Weißt du, was wir noch machen?
    Faina legte ihren Kopf an seine Brust. Nein, sagte sie. Was machen wir noch?
    Wir schwimmen im Fluss. Wir ziehen alle unsere Sachen aus und schwimmen nackt im Fluss.
    Wird dir da nicht kalt?
    Ach was. Da gibt’s so kleine Tümpel am Flussbett, in denen steht das Wasser und wird von der Sonne ganz warm. Sie sind klar und blau. Du wirst schon sehen. Wir schwimmen und lassen uns auf dem Rücken treiben, und wenn wir die Köpfe unter Wasser stecken, küsse ich dich. So wie jetzt.

    Es trieb ihn um wie ein schrecklicher Durst. Er sog sie in sich ein, noch und noch, und es war nie genug.
    Wenn sie zusammen am Flussbett entlangstromerten oder einem Bachlauf hinauf in die Berge folgten, teilten sie einander alles mit, was sie wussten. Welche Farbe die Augen eines schwarzen Wolfs haben. Wie man eine Bisamratte aus dem Eis fängt. Wo Schneegänse ihr Nest und Murmeltiere ihren Bau haben. Wie es klingt, wenn eine Herde Karibus über die Tundra prescht. Der Geschmack von Blaubeeren aus dem Hochgebirge und von zarten Fichtenspitzen.
    Sie nahmen die schlammigen Wildwechsel in Augenschein, deuteten auf Spuren und ordneten sie zu. Garrett versuchte, ihr den Ruf eines liebeskranken Elchbullen beizubringen, Faina versuchte, ihn die Gesänge wilder Vögel zu lehren. Dann brachen sie in Gelächter aus und jagten einander durch die Bäume, bis sie einen mit breiten Zweigen und einem Bett aus Fichtennadeln darunter fanden. Dort schmiegten sie sich aneinander, ließen Lippen und Augen und Herzen verschmelzen.
    Und wenn sie nicht zusammen waren, kam es ihm vor, als müsse er sterben vor Durst.

Kapitel 47
    «Das war’s dann wohl», sagte Jack und schlug die Hände zusammen, um sie vom Ruß zu befreien. Zu seinen Füßen stand ein Eimer mit Asche, die er aus dem Ofen gekehrt hatte. «Mit dem sind wir fertig. Jede Wette, dass der Junge sich hier nicht mehr blickenlässt.»
    «Das weißt du ja nicht», sagte Mabel.
    «Und ob ich das weiß. Der kommt nicht wieder. Es ist Zeit zum Pflanzen, ich darf mich da draußen krumm und lahm schuften und zusehen, dass die Felder bestellt werden. Und er, wo ist er?»
    «Ich glaube, du unterschätzt ihn.»
    «Wir werden ja sehen.» Er klopfte an das Ofenrohr und hörte die Ablagerungen herabrieseln. Dann schaufelte er auch sie in den Eimer.
    «Er ist derselbe junge Mann, wie wir ihn seit eh und je kennen. Nur verliebt.»
    «Wir werden sehen.»

    Das Pferd war weg. Jack machte die Stalltür zu und wieder auf, weil er an seinem Verstand zweifelte, aber nein, das Pferd war immer noch nicht da. Er ging hinaus auf die Weide und sah, dass das Tor am anderen Ende offen stand.
    Er war spät dran damit, das Pferd zu füttern und zu tränken. Eigentlich hatte er gleich bei Tagesanbruch aufs Feld gehen wollen. Nun, Ende Mai, wurde endlich der Boden allmählich trocken. Von den größten Feldern mussten einige noch gepflügt werden. Doch an diesem Morgen hatte sein steifer Rücken ihn mehr geplagt als gewöhnlich, darum war er es langsam angegangen und erst ein paar

Weitere Kostenlose Bücher