Das Schneemädchen (German Edition)
heim, die sie am Ufer des Wolverine, wo der Wind die Fliegen abhielt, nach dem Abhäuten und Ausnehmen in Streifen geschnitten auf Gestellen dörrte. Zuweilen räucherte sie das Fleisch dort auch ein wenig, über einem schwelenden Feuer aus grünem Erlenholz.
Jeden Abend, wenn der bevorstehende Winter die Fensterscheiben früher und früher dunkel werden ließ, fand sie sich zu Hause ein und setzte Garrett seltsam riechende Suppen und Schüsseln mit nicht näher bezeichnetem Brei vor. Er brauchte eine Weile, um sich an ihre Kochkünste zu gewöhnen. Gebratene wilde Pilze und Räucherlachs zum Frühstück. Abends Schneehuhnsuppe mit Fichtenspitzen und lappigen grünen Streifen, die Garrett nicht zuordnen konnte; zur Nachspeise ausgelassenes Bärenfett und Krähenbeeren. Seine Mutter vermerkte, dass er abgenommen hatte und nach Räucherfleisch und wilden Pflanzen roch. Sie wollte wissen, was er bei Faina zu essen bekäme, doch er klopfte sich nur auf den Magen und sagte, ihre Mahlzeiten bekämen ihm ausgezeichnet. Dann stibitzte er ein paar von Esthers weichen Brötchen oder Keksen und ließ sich ohne Gegenwehr von ihr etliche Gläser mit süßer Marmelade aufnötigen.
Faina? Faina? Wo bist du?
Garrett hielt die Laterne in die Winternacht. Er war aufgewacht und hatte zu seinem Schrecken Faina nicht neben sich im Bett vorgefunden. Es herrschte wildes Schneegestöber, das erste in diesem Winter, und wie es aussah, würde der Schnee liegen bleiben. Zitternd stand er im Wollmantel da, die bloßen Beine in den Stiefeln.
Faina?
Hier, Garrett. Und nun erspähte er sie, unten am Flussufer.
Was tust du da draußen? Es ist mitten in der Nacht.
Es schneit.
Ich weiß. Du wirst dich verkühlen. Komm ins Haus.
Er richtete die Laterne auf sie und sah, dass sie nur ihr Unterkleid trug, das sich in Wind und Schnee um sie bauschte.
Ja. Ja. Ich komme zu dir ins Haus.
Drinnen stellte Garrett die Laterne auf den Tisch und legte ein neues Holzscheit in den Ofen. Faina blieb, den Kopf in den Nacken geworfen, vor der Schwelle stehen, bis Garrett sie hereinzog und die Tür schloss. Sie lächelte ihn breit an, und er wischte ihr über die Wangen, die nass von Schnee waren.
Hier, sagte sie und legte seine Hand auf ihren kugelrunden Bauch. Da. Spürst du es?
Sie drückte seine Hand fester an sich, und etwas stemmte sich entgegen.
War das …?
Sie lächelte wieder und nickte. Er ließ die Hand auf ihrem Bauch, der zu wogen begann, als schlüge das ungeborene Kind einen Purzelbaum.
Auf die Schreie war Garrett nicht gefasst. Fainas Stimme war immer so klar und ruhig gewesen, wie ein Gletschersee, und nun entrang sich ihrer Kehle etwas wie das gequälte Knurren eines wilden Tieres. Immer wieder zog es ihn zu dem verhängten Eingang, doch Jack legte ihm eine Hand auf die Schulter.
«Dort hast du nichts verloren.»
«Ist mit ihr alles in Ordnung? Was geht da vor?»
Jack sah müde und alt aus, älter denn je, doch er bewahrte Ruhe.
«Es ist nie leicht.»
«Ich will zu ihr.»
Ebenda schob Esther den Vorhang beiseite, und Garrett starrte hilflos auf das Blut, das ihre Hände und Arme bis zu den Ellenbogen hinauf bedeckte, als hätte sie einen Elch geschlachtet.
«Wir brauchen mehr Lappen.»
«Geht es ihr gut? Geht es dem Baby gut?»
«Ich sagte, mehr Lappen», und damit verschwand sie wieder im Schlafzimmer, wo Faina auf dem Bett lag. Bevor der Vorhang zufiel, erhaschte Garrett einen Blick auf ihre Beine, ihre bloßen Füße in der Luft, und auf Blut. Überall war Blut.
«Großer Gott. Ist das immer so?» Garrett hatte das Gefühl, sich übergeben zu müssen. Jack schob sich mit einem Bündel Geschirrtüchern an ihm vorbei. Der feuchtwarme Geruch nach Blut und Schweiß und noch etwas anderem, das ihn an salziges Marschland denken ließ, war so überwältigend, dass Garrett zur Tür taumelte.
Draußen war es dunkel und kalt. Wie viele Stunden waren vergangen, seit er Hilfe geholt hatte? Er sog gierig die frische Luft ein und lief Richtung Fluss. Dann hörte er Faina abermals aufschreien. Konnte er denn gar nichts tun, während sie so litt? Er ging wieder hinein und fragte Jack, ob er noch mehr Tücher holen oder mehr heißes Wasser bereiten sollte.
Irgendwann spätnachts döste Garrett auf einem Stuhl ein, und als er erwachte und kein Schreien hörte, war er mit einem Satz auf den Beinen, ging zum Vorhang und lauschte. Faina stöhnte leise, und dann erklang Mabels Stimme, sanft und tröstlich wie die einer Mutter.
«Ist es
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