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Das Schneemädchen (German Edition)

Das Schneemädchen (German Edition)

Titel: Das Schneemädchen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eowyn Ivey
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gestaltet, doch Esther wies dem Babymund den Weg und erklärte Faina, dass er möglichst viel von der Brust umschließen müsse. Gib ihm ja keine Chance, dich in die Brustwarze zu zwicken, sonst wirst du es bitter bereuen, warnte Esther, als das Baby plärrend den Kopf hin und her wendete. Es liegt ganz an ihm, sagte sie. Den Dreh muss er selbst herauskriegen.
    Und das hatte er dann auch getan. Nun, zwei Wochen später, schmatzte er vernehmlich, während Faina sich eine Decke umlegte, die sie aus Bisamfell genäht hatte. Sie begleitete sein Trinken mit gurrenden Lauten und schloss zufrieden die Augen, wenn er einnickte; dann nahm Mabel ihren Skizzenblock und die Stifte heraus und fertigte kleine Zeichnungen an.
    Als er wieder aufwachte, wechselte Mabel ihm die Windel, wogegen er sich strampelnd und brüllend zur Wehr setzte.
    Daran will er sich einfach nicht gewöhnen, hm?, sagte Mabel und steckte die saubere Windel fest.
    Doch Faina hörte ihr nicht zu. Sie war zum Fenster gegangen und sah hinaus auf den hellen Schnee.
    Du kannst gern ein bisschen nach draußen gehen. Ich bleibe hier bei ihm.
    Schweigend zog Faina den blauen Wollmantel und die kniehohen Mokassins an; als sie die Tür öffnete, sah sie zu Mabel und ihrem Sohn zurück, ohne zu lächeln, mit einer Miene, aus der Mabel nicht klug wurde. Hatte sie Gewissensbisse, weil sie einmal ein wenig für sich sein wollte? Erschreckte sie der Gedanke, ihr Baby auch nur für kurze Zeit aus den Augen zu lassen?
    Vielleicht war es der kalte Luftschwall oder das plötzliche Verschwinden seiner Mutter – der Kleine wand sich in Mabels Armen und quengelte; also stand sie auf, hielt ihn sacht an die Schulter gedrückt und ging wippend mit ihm auf und ab. Garrett war bei Jack und half ihm, die Tiere im Stall zu versorgen, danach wollte er noch Holz aus dem Wald holen. Der Winter war kalt gewesen, kalt und windstill und schneereich, und schon jetzt ging der Brennholzvorrat zur Neige.
    Mabel stellte sich ans Fenster, tätschelte weiter das Neugeborene und wiegte sich hin und her. Das Baby beruhigte sich und blickte mit großen Augen über ihre Schulter. Sie grub das Gesicht in seinen Geruch und seine Wärme, ganz erfüllt von dem Wunder, das sie rings umgab, und summte ihm eben ein paar Töne ins Ohr, als sie aus dem Augenwinkel draußen vor dem weißen Schnee den blauen Mantel gewahrte.
    Faina ging über die Wiese auf die Bäume zu, doch sie mühte sich schwer im Schnee und blieb häufig stehen, um zu verschnaufen. Erst nach geraumer Zeit hatte sie den Waldrand erreicht; Mabel sah ihr unverwandt zu und spürte Sorge in sich aufsteigen. Es war noch zu früh. Sie hätte Faina nicht hinausgehen lassen dürfen. Die Wehen und die Geburt hatten furchtbar an ihr gezehrt, sie brauchte noch viel Ruhe. Mabel wollte schon zur Tür gehen und nach ihr rufen, damit sie heimkäme, zurück ins Warme, und sich hinlegte, doch dann sah sie, dass Faina nicht mit großen Sätzen zwischen den Fichten verschwand, wie sie es früher so oft getan hatte. Sie stand nur da, mit hängenden Armen und ihrem langen blonden Haar, das in der Wintersonne leuchtete, eine einsame, verlorene Gestalt im Schnee, vor sich die Weite der Wildnis. Und dann wandte sie sich um zu dem Blockhaus, zu ihrem Sohn und ihrem Heim, und folgte ihren eigenen tiefen Spuren zurück durch den Schnee.

    Habt ihr ihm schon einen Namen gegeben?
    Faina antwortete nicht. Sie schaukelte das Baby in einer hölzernen Wiege neben dem Ofen.
    Es wurde allmählich Nacht und damit Zeit für Mabel, sich auf den Heimweg zu machen.
    Ihr müsst ihm einen Namen geben, Kind. Er kann ja nicht so wie der Hund immer nur auf einen Vogelpfiff hören. Wir alle müssen ihn doch irgendwie rufen können.
    Immer noch gab Faina keine Antwort, schaukelte nur weiter das schlafende Kind hin und her.
    Es war schon dunkel, als Mabel aufbrach. Garrett bot an, sie zu begleiten oder ihr eine Laterne mitzugeben, doch sie schlug beides aus. Sie würde schon heimfinden, auch wenn kein Mond schien und die Nacht klirrend kalt war. Als der Lichtschein aus den Fenstern des Blockhauses nur noch hier und da durch die Bäume flackerte und dann gar nicht mehr zu sehen war, gewöhnten sich ihre Augen an das Dunkel und begnügten sich mit dem Sternenlicht auf dem reinen, weißen Schnee. Die Kälte biss sie in die Wangen und brannte in der Lunge, aber die Fuchspelzmütze und der Wollmantel hielten sie warm. Eine Eule strich langsam und schattengleich durch die Fichtenzweige, doch

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