Das Schneemädchen (German Edition)
Schnee gesessen.
Warum ist er nicht aufgestanden?
Ihr Kinn zitterte.
Er hat gesagt, das Peterswässerchen hält ihn warm, aber das ist nicht wahr. Ich wollte ihn wärmen. Ich habe erst seine Hände gehalten und dann sein Gesicht, so.
Und das Mädchen beugte sich hinab und legte mit der Zärtlichkeit einer Tochter ihre kleinen Hände an die Wangen des Toten.
Ich habe es versucht, aber er ist kälter und kälter und kälter geworden.
Als Jack sich neben dem Leichnam auf ein Knie niederließ, schlug ihm Alkoholgeruch entgegen. Eine erstarrte Hand umklammerte eine grüne Glasflasche. Jack wurde übel. Wie konnte ein Mann so etwas tun, wie konnte er sich vor den Augen seines Kindes zu Tode trinken?
Warum konnte ich ihn nicht aufwärmen?, fragte die Kleine.
Jack, noch immer auf einem Knie, ergriff ihre schmalen Schultern.
Es lag nicht an dir. Dein Papa war ein erwachsener Mann, nur er selbst hätte sich retten können. Dies ist nicht deine Schuld.
Er zog die Leinwand wieder über den Toten.
Wann ist das passiert?
An dem Tag, als es zum ersten Mal geschneit hat, antwortete das Mädchen.
Er wusste, wann das gewesen war. An jenem Abend hatte er mit Mabel auf dem Hof die kleine Schneefigur gebaut. Vor nicht ganz drei Wochen.
Warum hast du niemanden um Hilfe gebeten?
Ich habe Fuchs verjagt. Ich habe Steine geworfen und geschrien. Und ich habe Papa zugedeckt, damit die Vögel nicht an ihm picken. Aber jetzt – jetzt fressen ihn die Mäuse.
Was blieb ihm für eine Wahl? Er richtete sich auf und klopfte sich den Schnee vom Knie.
Ich muss vielleicht aus der Stadt Hilfe holen, sagte er.
In den Augen des Mädchens blitzte es wütend auf. Du hast es versprochen. Du hast es mir versprochen.
Und so war es. Jack seufzte schwer und schlug die Stiefel zusammen. Auf so etwas war er nicht gefasst gewesen.
Das schaffen wir nicht an einem Tag, erklärte er. Ich muss erst überlegen, was wir mit … mit deinem Papa machen.
In Ordnung.
Die Kleine war mit einem Mal müde und ruhig, ihr Widerstand erschöpft.
Du bleibst bei uns, bis wir wissen, wie wir am besten vorgehen.
Jack sprach im selben Ton wie an jenem ersten Tag, als er ihr mitteilte, es sei Zeit fürs Abendessen – so, als gebe es darüber keine Diskussion.
Das Mädchen richtete sich auf, wieder blitzten ihre Augen.
Nein, sagte sie.
Ich kann dich nicht hier im Wald lassen. Du bist ein Kind, du kannst hier nicht bleiben.
Ich wohne hier, antwortete sie.
Hoch aufgerichtet stand sie da. Der Wind aus den Bergen blies durch die Fichten und zauste ihr blondes Haar.
Sie wohnte hier. Ja, dachte Jack.
Er hörte sich in Alpine um, erzählte von Axtspuren, von Wegmarkierungen an mehreren Bäumen. Ob in den letzten Jahren jemand in der Nähe seines Landes Fallen gestellt habe? Oder lebe vielleicht jemand da oben in den Gebirgsausläufern?
«Ja, schon. Komisch, dass du das fragst, ich habe ewig nicht mehr an den Burschen gedacht», meinte George. «Wir haben ihn immer den Schweden genannt, und er hat nie protestiert. Hat seinen Namen nie verraten, wenn ich so drüber nachdenke. War aber wohl eher ein Russe – hat sich jedenfalls so angehört.»
«Wie sah er aus?», fragte Jack. «Ich wüsste gern, ob ich ihm schon einmal begegnet bin.»
«Ein großer, bärenstarker Mann. Gebaut wie ein Holzfäller. Blond, mit Bart. Ein wenig seltsam, wenn du mich fragst – nicht gerade offen und gesprächig. Esther lädt die Junggesellen schon mal zum Sonntagsbraten ein, aber ihn hat sie nie gefragt. Was aus ihm wohl geworden ist? Glaubst du, dass er auf deinem Land Fallen stellt?»
Betty erinnerte sich ebenfalls an den Mann.
«Oh, das war wirklich ein komischer Kauz», erzählte sie Jack und goss ihm eine Tasse Kaffee ein. «Im Sommer hat er Gold gewaschen und im Winter Fallen gestellt, das tun viele. Dachte wohl, er könnte hier sein Glück machen und dann wieder nach Hause gehen. Man verstand nur die Hälfte von dem, was er sagte – hat ständig fremde Wörter mit reingemischt.»
«Hast du ihn in letzter Zeit mal gesehen?», fragte Jack. «Ich will einfach nur wissen, mit wem ich es zu tun habe, falls er in meiner Gegend Fallen stellt.»
«Nein. Kann mich gar nicht erinnern, wann er zuletzt hier war. Er kam allerdings auch nur ein paarmal im Jahr in die Stadt. Soweit ich gehört habe, hat er sich in seiner freien Zeit lieber weiter oben am Fluss mit den Indianern betrunken.»
«Wo er wohl geblieben ist?», fragte Jack beiläufig und rührte in seinem Kaffee.
«Wer
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