Das Schneemädchen (German Edition)
weiß? Vielleicht ist er dahin zurück, woher er gekommen ist. Oder der Fluss hat ihn mitgerissen, oder ein Bär hat ihn gefressen. Passiert ständig. Männer kommen, Männer gehen. Manche verschwinden für immer.»
«Hatte er vielleicht Kinder? Oder eine Frau? Mabel würde sie bestimmt gern kennenlernen.»
«Keine Ahnung. Er schien mir eher ein Einzelgänger zu sein.»
Müde und niedergeschlagen, so fühlte Jack sich auf dem Heimritt. Die Stute lief in scharfem Trab und warf den Kopf, die frischen Temperaturen schienen sie aufzumuntern. Jacks Hände an den Zügeln hingegen wurden steif vor Kälte. Seine Gedanken waren bei dem Mädchen hoch oben in den Bergen mit ihrem toten, steifgefrorenen Papa. Tat er wirklich das Richtige? Er hatte ihr versprechen müssen, niemandem etwas zu verraten, vor allem nicht Mabel. Das konnte er verstehen. Keine Frau würde einem Kind gestatten, mutterseelenallein beim Leichnam seines Vaters in der Wildnis zu bleiben. Das Mädchen hatte Angst, dass man sie aus der gewohnten Umgebung reißen würde. Ein- oder zweimal hatte Jack beobachtet, wie Mabel die Hand ausstreckte, um der Kleinen das Haar aus den Augen zu streichen oder ihr beim Zuknöpfen des blauen Wollmantels zu helfen. Jedes Mal war das Kind zurückgezuckt, hatte die Zähne zusammengebissen und den Mund verzogen, als wolle es sagen: Ich komme allein zurecht.
Jack war ziemlich überzeugt davon, dass das stimmte. Das Mädchen kannte die Wälder und die Wege darin. Sie fand Essen und Schutz vor der Witterung. War das alles, was ein Kind brauchte? Nein, würde Mabel sagen, die Kleine brauche Wärme und Zuneigung und jemanden, der sich um sie kümmere. Jack jedoch fragte sich unwillkürlich, ob das nicht eher den Wünschen einer Frau entsprach als den Bedürfnissen eines Kindes.
Abgesehen davon hatte er dem Mädchen sein Wort gegeben. Er ging damit sehr sparsam um, doch wenn er ein Versprechen gab, dann tat er, was in seinen Kräften stand, um es auch zu halten.
Man konnte Jacks Geheimnis förmlich riechen, es haftete ihm an im Geruch nach schwarzem Rauch und schmelzendem Schnee. Am Abend drückte Mabel ihr Gesicht in seinen Bart und berührte sein Haar mit den Fingern.
«Was hast du verbrannt?»
«Nur ein paar Reihen Baumstümpfe vom letzten Sommer. Gutes Wetter zum Feuermachen – nicht zu windig, nicht zu trocken.»
«Ja, das wird wohl so sein.» Vollkommen überzeugt klang sie nicht.
Das Erdreich ließ sich langsamer auftauen als erwartet. Er hatte den Toten unter dem Baum hervorgezogen und diesen gefällt, sodann das Holz an Ort und Stelle zerteilt und die zundertrockenen Äste für ein Feuer aufgeschichtet. Das Mädchen sah zu, wie er den Baum verbrannte. Sie hielt sicheren Abstand, und die Flammen spiegelten sich in ihren Augen. Jack fragte, ob sie in seiner Abwesenheit das Feuer hüten könnte, doch sie schüttelte den Kopf. Als sich der kurze Tag zum Abend neigte, schichtete er daher das Holz so hoch auf, wie er nur wagte, und stieg vom Berg herab. Hinter ihm knisterte und krachte das Feuer und loderte in die Nacht.
Am nächsten Tag schabte er unter dem schwelenden Holz an der noch immer gefrorenen Erde und schaufelte aus, so viel er konnte. Ein Dezembergrab musste in diesem Land dem Boden mühsam entrungen werden, doch er würde es schaffen. Den Mann ließ er unter der Zeltplane, weitab vom Feuer. Es war ein schrecklicher Gedanke: Er wollte nicht, dass der Leichnam auftaute. Solange er gefroren blieb, war alles gut.
Als sich Jack am dritten Tag nach Hause schleppte, voller Ruß und völlig erschöpft, erwartete Mabel ihn bereits.
«George ist vorbeigekommen», teilte sie ihm mit. «Ich habe ihm gesagt, du brennst auf dem neuen Feld Baumstümpfe ab.»
«Ach ja?»
«Er hat gesagt, da wärst du nicht. Er könne dich nicht finden.»
«Hm.» Er sah ihr nicht in die Augen.
Sie ergriff seinen Arm und drückte ihn leicht. «Was ist los? Wo warst du?»
«Ich war arbeiten, das ist alles. George muss mich irgendwie verpasst haben.»
Am nächsten Morgen kehrte Jack zurück, um den angetauten Boden abzugraben und die Flammen wieder anzufachen. Er war schweißgebadet, Dreck klebte an ihm, dazu Holzkohle von den halb verbrannten Kloben. Das Mädchen ließ sich nirgends blicken. Bisweilen aber fühlte sich Jack aus dem Wald heraus beobachtet – vielleicht war es das Mädchen, vielleicht auch der Rotfuchs, den er hin und wieder zwischen den schneebedeckten Felsblöcken sehen konnte.
Am Nachmittag schließlich schien
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