Das Schneemädchen (German Edition)
die Nase voll vom Frieren. Wollte mit einem großen Knall aus der Welt scheiden, so wie der alte Sam McGee.»
«Welcher Sam?», fragte Mabel. «Hat der auch hier gewohnt?»
«Welcher Sam! Und dein Vater war Literaturprofessor!» Esther rezitierte ein paar Strophen eines Gedichts von Robert Service, einem Dichter aus dem Yukon-Gebiet – Verse, die von all den seltsamen Dingen erzählten, die sich unter der Mitternachtssonne zutragen.
Als es zu dämmern begann, lud Mabel Esther ein, zum Essen zu bleiben, doch die lehnte dankend ab, sie müsse endlich nach Hause und für ihre Männerbande kochen. Als sie bereits in Mantel und Stiefeln dastand, nahm sie Mabel noch einmal in den Arm.
«Kaum zu glauben, du bist inzwischen meine allerbeste Freundin. Pass auf dich auf, ja?»
«Das mache ich», erwiderte Mabel. «Schön, dass du gekommen bist.»
Jack folgte Esther nach draußen und bot ihr an, das Pferd anzuschirren.
«Ich hab’s gleich selber, Jack», meinte sie. Sie trat einen Schritt auf ihn zu und blickte zum Haus zurück.
«Ich mache mir wirklich Sorgen um sie. Sie wirkt ein bisschen melancholisch, so wie meine Mutter. Pass gut auf sie auf.»
Jack nahm an, Mabel würde nun mürrisch und schweigsam im Haus sitzen, doch sie summte beim Spülen vor sich hin.
«Habt ihr beiden Spaß gehabt?»
«Ja. Ich habe noch nie eine Frau wie sie kennengelernt. Sie ist immer wieder für eine Überraschung gut, und das gefällt mir ausgesprochen.»
Sie goss Wasser in einen Topf. Ohne Jack anzublicken, fragte sie: «Warum stehst du eigentlich nie für mich ein und sagst ihr, dass du das Kind auch gesehen hast?»
Über ihn also hatte sie sich geärgert, nicht über Esther.
«Ich kann es einfach nicht verstehen, Jack. Die Kleine existiert doch. Du hast sie mit eigenen Augen gesehen, du hast mit ihr zusammen an diesem Tisch gesessen. Und trotzdem hast du es den Bensons gegenüber nicht ein einziges Mal zugegeben.»
«Ich weiß nicht», antwortete er. «Vielleicht bin ich nicht so mutig wie du.»
«Du machst dich über mich lustig.»
«Nein. Du bist anders. Du bleibst dir treu, selbst auf die Gefahr hin, dass die Leute dich für verrückt halten. Und ich … na ja … ich schätze, ich …»
«Und du, du sagst kein Wort.» Mabel klang eher nachdenklich als verärgert.
Sie wandte sich dem Kartoffelsack zu und fragte: «Ob ich mir auch so eine Wollhose besorgen soll, wie Esther sie hat?»
«Nur, wenn du auch löchrige Socken dazu trägst.»
«Das kommt mir so warm und praktisch vor.»
«Die Socken?», neckte er sie.
«Nein, nein, die Socken müssen wirklich nicht sein.»
Sie begann, die Kartoffeln zu schälen. Jack trat hinter sie und berührte die feinen Strähnen, die aus den Haarnadeln gerutscht waren und sich in ihrem Nacken ringelten. Dann legte er Mabel von hinten die Arme um die Taille und schmiegte sich an sie. So viele Jahre, und noch immer lockte ihn der Duft ihrer Haut, ein süßer Duft nach Seife und frischer Luft. «Tanz mit mir», flüsterte er ihr ins Ohr.
«Wie bitte?»
«Ich sagte, lass uns tanzen.»
«Tanzen? Hier, im Haus? Ich glaube, der Verrückte von uns beiden bist du!»
«Bitte.»
«Wir haben doch gar keine Musik.»
«Uns fällt bestimmt was ein.» Und er begann, ein wehmütiges Lied zu summen. «Siehst du.» Er drehte sie zu sich herum.
Sein Arm lag noch immer um ihre Taille, und ihre schmale Hand ruhte in der seinen.
Er summte lauter und begann, sich mit ihr auf dem Dielenboden zu drehen.
«Hmmm, hmmm, with a heart that is true, I’ll be waiting for you …»
« … in the shade of the old apple tree.» Sie küsste ihn auf die Wange, und er schwenkte sie wieder von sich weg.
«Oh, mir ist auch ein Lied eingefallen», meinte sie. «Warte –» Und sie begann zögernd zu summen. Im ersten Moment konnte Jack sich nicht erinnern, aber dann erkannte er die Melodie und sang mit.
«When my hair has all turned gray» – ein Schlenker und eine rasche Drehung neben dem Küchentisch –, «will you kiss me then and say that you love me in December as you do in May?»
Und dann waren sie neben dem Ofen angelangt, und Mabel küsste ihn mit weichen, geöffneten Lippen. Jack zog sie an sich, nahm sie fester in den Arm und küsste ihre Wangen, ihren freien Nacken und schließlich, als Mabel den Kopf zur Seite sinken ließ, auch ihren Hals bis hinunter zum Schlüsselbein. Er schob einen Arm unter ihre Kniekehlen und hob sie hoch.
«Was um Himmels – du brichst dir noch das Kreuz!»,
Weitere Kostenlose Bücher