Das Schneemädchen (German Edition)
Hofgelände betrat, erkannte sie es eindeutig: Gelächter!
Jack und das Mädchen standen nebeneinander, die Arme zur Seite gestreckt, sodass sich ihre Hände beinahe berührten. Dann, ohne Vorwarnung, ließen sie sich rückwärts in den tiefen Schnee fallen.
Komm gucken! Komm gucken!, rief die Kleine Mabel zu.
Jack? Faina? Was in aller Welt –
Wir sind Schneeengel!, rief Jack, und das Mädchen kicherte.
Mit dem Korb in der Hand ging Mabel zu ihnen hinüber und sah auf sie hinab. Jack war gute zwei Handbreit in die Schneedecke eingesunken und wedelte mit Armen und Beinen wie ein Ertrinkender. Er grinste, und Mabel sah, dass sein Vollbart schneeverkrustet war.
Daneben lag das Kind auf dem Schnee und lächelte sie mit großen blauen Augen an.
Da bemerkte Mabel die Schneeengel ringsumher – die großen, tiefen Abdrücke, die Jack hinterlassen hatte, und die kleineren, leichteren des Kindes. Wenigstens ein Dutzend Engel waren paarweise über den Hof verteilt, und sie glänzten im Sonnenlicht. Mabel hatte noch nie etwas so Schönes gesehen, und sie ging von einem zum anderen.
Jack kam mühsam auf die Beine. Dann beugte er sich zu Faina hinab und packte sie bei den Händen.
Pass auf, rief das Kind ihr zu.
Jack zog Faina mit Schwung aus dem Schnee, und beide lachten.
Mabel stockte der Atem. Ihr Engel war so zart, seine Flügel waren so perfekt wie der Schwingenabdruck, den ein Waldvogel beim Abflug im Schnee hinterlässt.
Ist das nicht unglaublich?, fragte Jack.
Ich verstehe das nicht. Wie …
Weißt du nicht mehr, wie du das als kleines Mädchen gemacht hast?, sagte Jack. Du musst nur mit Armen und Beinen wedeln. Komm, versuch’s doch auch einmal.
Mabel zögerte, hielt ihren Beerenkorb in die Höhe.
Ach bitte, tu es bitte, bettelte die Kleine.
Jack nahm ihr den Korb ab und reichte ihn Faina.
Ich weiß nicht. Mit dem langen Rock, und überhaupt.
Doch er fasste sie bei den Schultern, und ehe sie sich’s versah, hatte er sie schon nach hinten geschubst. Sie wappnete sich gegen den schmerzhaften Aufprall, doch der Pulverschnee fing sie auf wie ein dickes Daunenbett und dämpfte sämtliche Geräusche. Über sich sah sie die lachenden Gesichter von Jack und dem Mädchen und darüber den strahlend blauen Himmel, während in dem Schnee, der ihr Blickfeld rahmte, eisige Kristalle glitzerten.
Na los, forderte Jack sie auf. Du musst mit den Armen rudern und Flügel machen.
Mabel schob eine Ladung Schnee Richtung Kopf und ließ die Arme im selben Bogen zurückwandern. Dann grätschte sie die Beine und schloss sie wieder.
Fertig?, fragte sie.
Jack beugte sich zu ihr herab, umfasste ihre in Fäustlingen steckenden Hände mit seinen Arbeitshandschuhen und zog sie mit einem Ächzen auf die Füße.
Oh, seht mal! Seht mal, wie schön!, rief das Kind.
Mabel schaute ihren Schneeengel an. Er war ebenso tief eingedrückt wie Jacks, auch ihre Flügel sahen nicht gefiedert aus. Doch er war wunderschön, da musste sie zustimmen.
Deiner ist der allerschönste, sagte Faina, umschlang Mabel mit den Armen und drückte sie fest an sich. Mabel hatte das Gefühl, als verlöre sie abermals das Gleichgewicht und fiele lachend rückwärts in den weichen Schnee.
Das kleine Mädchen kam und ging, doch die Schneeengel blieben, und Mabel betrachtete sie lächelnd. Es war nicht allein der Anblick der verspielten Figuren, die vom Stall zum Haus und vom Haus zum Holzstoß tanzten. Es war ebenso ihre Erinnerung an Jack, der sich rückwärts in den Schnee geworfen hatte wie ein kleiner Junge, mit der kichernden Faina an seiner Seite. Und an das Kind, das sie umschlungen hatte, wie eine Tochter ihre Mutter an sich drückt. Voller Freude. Spontan. Der allerschönste … Der allerschönste.
Mabel wandte sich vom Küchenfenster ab und dem Herd zu. Was Esther wohl dazu sagen wird, dachte sie. Sie hat uns ja bisher schon für halb verrückt gehalten, aber wenn sie sieht, dass wir unsere Tage damit verbringen, Schneeengel zu machen, lässt sie uns mit Sicherheit beide einweisen. Sie rührte die blubbernden Moosbeeren um. Ihr erdig säuerliches Aroma erfüllte den ganzen Raum und erinnerte Mabel mit einem Mal an den Geruch im vollgestopften Haus der Bensons, als sie das erste Mal dort zu Besuch gewesen war.
Abermals warf sie einen Blick aus dem Fenster. Wunderschöne, närrische Schneeengel! Plötzlich schoss ihr ein Gedanke durch den Kopf: Auch Fainas Schneeengel waren dabei! Ihre zarten Abdrücke mit den gefiederten Schwingen. Deren
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