Das Schneemädchen (German Edition)
ziemlich gern. Er spricht ständig von dir. Jack sagt dies, Jack sagt das.»
Mabel reichte Jack eine Tasse Tee. «Es gibt auch frische Maispfannkuchen, Esther hat sie mitgebracht.»
Die beiden Frauen waren schon fast den ganzen Tag damit beschäftigt, Rezepte und Handarbeitsmuster auszutauschen, und er hatte ihr Lachen bis nach draußen gehört. Er war froh, dass Mabel Gesellschaft hatte.
Esther stand auf, streckte sich und nahm sich einen Pfannkuchen vom Teller.
«Ich habe auch nicht mit guten Ratschlägen gegeizt. Habe Mabel gesagt, dass sie öfter mal aus dem Haus muss. Immer diese Geschichten über kleine Mädchen, die im Wald umherirren. Als Nächstes lädt sie draußen vorm Haus zum Fünf-Uhr-Tee ein, in Unterwäsche und Blumenhut.»
Esther stupste Mabel mit dem Ellenbogen an und zwinkerte, doch Mabel war nicht zum Lachen zumute.
«Ach, schau dich nur an, leichenblass bist du. Ich sage doch nichts, was du nicht sowieso schon weißt. Das ganze Gerede über das kleine Mädchen ist doch blanker Unsinn.»
«Ich sehe keine Gespenster, Esther», presste Mabel hervor und suchte Jacks Blick.
«Sieh her, du hast ja doch ein bisschen Feuer im Leib, Mädchen.» Esther legte ihr den Arm um die Taille. «Das brauchst du auch, wenn du hier überleben willst.»
Jack hätte gedacht, dass Esther sich nun unter einem Vorwand aus dem Staub machen würde, doch entweder bemerkte sie Mabels verärgertes Schweigen nicht, oder sie wurde besser damit fertig, als er es je konnte. Sie ließ sich auf ihren Stuhl plumpsen und nahm einen Schluck Tee, den sie im Mund umherwandern ließ.
«Guter Tee. Wirklich guter Tee», sagte sie. «Habe ich euch je von dem Grizzly-Tee erzählt?»
«Nein, nicht, dass ich wüsste», meinte Jack. Eigentlich hatte er vorgehabt, noch ein, zwei Stunden draußen zu arbeiten, doch nun zog er sich einen Stuhl heran, setzte sich den beiden gegenüber und nahm noch einen Maispfannkuchen.
«Danny … Jeffers? Jaspers? Ach verdammt, mein Gedächtnis lässt nach. Jedenfalls, Danny schleppte immer einen stinkenden Jutesack mit sich rum, und darin hatte er … nun ja, sagen wir: die weniger appetitlichen Anhängsel von Grizzlybären. Er schwor Stein und Bein, daraus ließe sich ein Tee brauen, der dem Liebesleben aufhilft.» In Esthers Augen blitzte der Schalk. «Und sobald sich jemand mit dem alten Danny unterhielt, wusste man natürlich sofort, dass bei dem im Schlafzimmer nicht mehr viel los war.»
«Oje, man musste das Zeug trinken? Wie grässlich.» Mabel verzog das Gesicht.
«Ich denke dabei eigentlich mehr an die armen Grizzlys», sagte Jack. «Wie haben die das nur ausgehalten!»
Esther hielt sich den Bauch vor Lachen.
«Das möchte ich aber mal sehen, wie irgendwer einen Grizzly auf den Rücken wirft!»
«Wie, du meinst doch nicht etwa –» Mabel starrte sie entsetzt an.
Esther bekam vor Lachen kaum ein Wort heraus. «Nein – nein – die Bären waren schon tot. Er hat sie vorher umgebracht.»
«Oh», sagte Mabel leise. Jack wusste nicht, ob es ihr peinlich war oder ob ihr die vielen erlegten Bären leidtaten.
«Ich kann mir vorstellen, dass hier im Laufe der Zeit so einige Originale durchgereist sind», sagte er.
«Darauf kannst du dich verlassen. Diese Gegend zieht die Spinner an wie ein Kadaver die Fliegen. Wir rechnen uns selbst zu den Normalen, das will was heißen.»
Endlich lächelte Mabel.
«Ihr habt doch bestimmt von dem Kerl gehört, der sein Haus grellorange angemalt hat?», fragte Esther.
«Nein, bestimmt nicht.» Mabel schüttelte lachend den Kopf. «Ich glaube dir gar nichts mehr. Du denkst dir das doch aus.»
Esther hob feierlich die Rechte. «Ich schwöre, es ist die Wahrheit und nichts als die Wahrheit. So orange wie eine Apfelsine. Behauptete, das würde ihn im Winter fröhlicher stimmen. Wohnte hier ganz in der Nähe, gleich hinter den Schienen. Ich fand die Idee eigentlich gar nicht so übel, aber in der Stadt haben ihn natürlich alle Männer damit aufgezogen.»
«Und, hat es geholfen?», wollte Jack wissen.
«Kann man nicht unbedingt sagen. Im Winter ist er mitsamt seinem Haus in Flammen aufgegangen, abgebrannt ist es bis auf den Grund. Ich war mir nie sicher – er hat ständig über die Kälte gejammert, mehr als irgendwer sonst. Was in aller Welt der ausgerechnet in Alaska wollte, habe ich nie verstanden. Alle haben gesagt, das Feuer wäre ein Unfall gewesen, die ganze Farbe hätte die Flammen zusätzlich angefacht, aber vielleicht hatte er auch einfach nur
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