Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Schneemädchen (German Edition)

Das Schneemädchen (German Edition)

Titel: Das Schneemädchen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eowyn Ivey
Vom Netzwerk:
noch einmal nach dem Püppchen um, wusste aber, dass er es nicht finden würde. Das war ein kleiner Trost. Faina hatten sie verloren, doch wo immer sie auch war, was ihr auch geschehen sein mochte – das Püppchen hatte sie bei sich.
    Im Freien ließ ihn das helle Licht die Augen zusammenkneifen; blind tastete er hinter sich nach der Tür und zog sie zu. Einen Moment stand er da, lauschte dem Bach und spürte die Bergluft im Gesicht. Ungeachtet seines Kummers war dies ein schöner Ort. Von hier hatte er das gesamte Flusstal im Blick, und weit drunten konnte er beinahe sein Gehöft erkennen.

Kapitel 22
    Der nächste Nachmittag kam und verging, ohne dass Jack vom Feld zurückkehrte. Mabel wunderte sich nicht allzu sehr – er hatte wohl ohne Pause durchgearbeitet. Als es jedoch Abend wurde und das Essen kalt auf dem Tisch stand, war ihr klar, dass etwas nicht stimmte. Panik schnürte ihr den Hals zu, doch sie zog sich mit Bedacht Mantel und Stiefel an. Im letzten Moment nahm sie das Gewehr von der Wand und füllte ihre Tasche mit Patronen. Sie nahm sich fest vor zu lernen, wie man damit umging.
    Auf dem Weg zu den Feldern schleifte ihr Rocksaum durch den Morast. Ihr Schwiegervater war im Obstgarten einem Herzanfall erlegen, und vor ihrem inneren Auge sah Mabel Jack auf dem Acker liegen. Dann wäre sie allein und hätte kaum eine andere Wahl, als in ihr Elternhaus zurückzukehren, das jetzt ihre Schwester bewohnte, oder zu Jacks Angehörigen zu ziehen.
    Systematisch suchte sie mit den Blicken das erste Feld ab, doch nichts wies auf Jack oder das Pferd hin. Abendschatten tauchten den Waldrand in Dunkel, und über den blassblauen Himmel war eine Handvoll Sterne gestreut. Ein Trupp grauer Kraniche stieg aus einer Wiese auf, ihr heiseres Rufen war ebenso geisterhaft wie ihr langsamer Flügelschlag. Die Kälte ließ den Morast bereits erstarren. Schlotternd folgte Mabel der Fahrspur weiter.
    Durch die Bäume hindurch hörte sie das Pferd wiehern. Der Weg führte um das Waldstück herum zu dem neuen Feld, und da entdeckte sie schemenhaft das Zugtier vor dem umgestürzten Pflug. Es stampfte mit den Hufen.
    «Jack? Jack!», rief sie.
    Im trüben Dämmerlicht waren nur Umrisse auszumachen, und sie hielt auf das Pferd zu. Plötzlich hörte sie ein ersticktes Stöhnen.
    «Mabel?»
    Am liebsten wäre sie gerannt, doch der aufgeworfene Boden machte das unmöglich. Noch immer konnte sie Jack nicht entdecken.
    «Hier, Mabel. Hierher.»
    Tief gebückt folgte sie dem Klang der Stimme, bis sie um ein Haar auf ihn getreten wäre. Er lag auf dem Rücken ausgestreckt, das Gesicht dem dunkelnden Himmel zugewandt.
    «Was ist passiert?»
    «Das Pferd. Hat mich mitgeschleift. Vor Stunden.» Erde und Blut machten seine Worte undeutlich. Mabel fiel auf die Knie und bemühte sich, mit dem Ärmel den Schmutz von seinem Mund zu wischen.
    «Wie ist das gekommen?»
    «Ein Schwarzbär.»
    «Hier?»
    «Beim Wald. An dem verdammten Pflug war ein Bolzen durch, musste ihn reparieren. Das Pferd hat den Bären zuerst gesehen, fing an zu tänzeln.»
    Mabel blickte zum Wald hinüber.
    «Ist weg. Glaube nicht, dass er was wollte. Kam einfach so rausgetrottet, hat uns wohl nicht gesehen. Ich wollte vom Pflug weg, aber das Pferd hat gescheut und sich auf der Hinterhand gedreht, da hing ich mit dem Bein drin. Hat mich durch den Dreck geschleift, bis ich loskam. Hab ja gehofft, er würde den Pflug nach Hause schleppen, dann hättest du’s gewusst. Ist aber gleich da vorne stehen geblieben.» Jack versuchte, sich aufzusetzen, verzog jedoch das Gesicht vor Schmerzen.
    «Wo tut es weh?»
    «So gut wie überall, verdammt.» Jack wollte lachen, brachte jedoch nur ein rumpelndes Husten zustande. «Der Rücken am schlimmsten.»
    «Was soll ich machen?»
    «Schirr das Pferd ab. Nein, keine Bange – der ist jetzt nur noch müde.»
    «Und dann?»
    «Dann muss ich irgendwie auf ihn drauf, und du führst uns nach Hause.»
    «Kannst du stehen?»
    «Ich weiß nicht.»
    Nachdem Jack Mabel Schritt für Schritt erklärt hatte, was zu tun war, spannte sie das Pferd aus und führte es zu ihm. Sie schob ihre Arme unter seine Achseln und versuchte, ihm aufzuhelfen. Er war schwerer, als sie erwartet hatte, und sie sackte unter seinem Gewicht in den kalten Matsch. Er schlang seine Arme um ihre Schultern und schob sich ächzend auf die Knie.
    «Großer Gott.» Er kniff die Tränen aus den Augen.
    «Ich hole lieber Hilfe. Ich hole George.»
    «Nein, wir schaffen das. Komm.» Erneut

Weitere Kostenlose Bücher