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Das schönste Wort der Welt

Das schönste Wort der Welt

Titel: Das schönste Wort der Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: M Mazzantini
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der Mann zurück und zog unter seiner Jacke
eine Dose hervor, die er uns unter dem Tisch zeigte, wobei er so tat, als
wollte er nicht vom Oberkellner gesehen werden. Es war Kaviar, er kostete zehn
Dollar, zahlbar bei ihm, cash. Wir nahmen den Kaviar, und der Geldschein
flutschte weg. Mit dem zweiten Schein gelangte auch eine Flasche Spezialwodka
in unseren Besitz.
    Jetzt lächelte uns
auch der Oberkellner mit einer kleinen Verbeugung zu, als er an unserem Tisch
vorbei auf andere Gäste zuging. Toupierte Frauen mit Minirock und spitzen
Stiefeln, Männer in glänzenden Jacketts. Der Kaviar war ausgezeichnet, mit
Blini und saurer Sahne serviert. Diego hatte eines der winzigen, schwarzen Eier
auf der Nasenspitze, ich lächelte, rückte dicht an ihn heran und wischte es mit
einem Finger weg. Er starrte in den Ausschnitt meiner Seidenbluse wie ein
jugendlicher Liebhaber, und für einen Moment fühlten wir uns wie ein Pärchen im
Urlaub. Wir blieben auch nach dem Abendessen noch auf den Polsterbänken sitzen.
Diego prostete mit dem Wodka der Sängerin zu, und diese etwas verschlissene
Frau mit dem roten Sirenenkleid, deren Augen in grünem Lidschatten ertranken,
stimmte für uns Volare,
oh oh oh an.
Wir lachten und klatschten Beifall.
    Im Hotelzimmer lieben
wir uns, die Betten machen einen Höllenlärm. Es ist Sex pur, ein Erguß. Wir finden
das nicht übel, zumindest sind wir lebendig.
    »Und wenn nichts
dabei herauskommt, wen juckt das schon«, seufze ich.
    »Wir sind zusammen
verreist, haben uns geliebt …«
    Diego steht am
Fenster und richtet das Objektiv auf die Dunkelheit.
    »Was fotografierst du
da?«
    »Ein Licht.«
    Wahrscheinlich den
weißen Scheinwerfer der Kaserne von gegenüber.
    Am nächsten Morgen
gingen wir in den Frühstücksraum hinunter, dort standen zwei große Behälter mit
heißem Wasser, ein paar Eier und Süßes. Es roch nach diesem immer wiederkehrenden
Küchenmief, nach abgestandenem, in Brühe eingeweichtem Fleisch. Oxana holte uns
ab, derselbe Haargummi, dieselbe Blässe. Wir schoben ihr eine Tasse Tee in die
roten Hände. Sie sagte, wir müssten warten, der Arzt suche nach der geeigneten
Frau für uns, am Nachmittag gebe er uns Bescheid.
    Wir gingen spazieren.
Diego fotografierte eine alte Holzkirche und ein Kosakendenkmal neben einer
blauen und ewigen Methangasflamme. Auch im Stadtzentrum herrschte eine allgemeine
Armseligkeit und eine merkwürdige Stille.
    Am Nachmittag kam
Oxana wieder. Wir nahmen ein Taxi zum Ambulatorium, einen pflaumenblauen Skoda
ohne Stoßstangen. Der Arzt hatte eine Frau ausfindig gemacht, die in Frage
kommen könnte.
    »Wer ist sie?«,
fragte ich.
    Oxana hatte sich
neben den Chauffeur gesetzt und ihm die Straße genannt. Sie drehte sich zu uns
um und sagte, die Frau sei zuverlässig.
    »Sie hat das schon
mal gemacht.«
    Ich dachte über diese
Frau nach, die irgendwo auf mich wartete und ihre Kinder weggab … gegen Geld.
Ein Profi, zwang ich mich zu denken, was konnte es Besseres geben als einen
Profi. Ich sah Diegos zur Faust geballte Hand auf dem Sitz an. Sie lag still
da, doch es war keine ruhige Hand, ihre Haut war so straff, als umklammerte sie
einen Nagel.
    Vor der Abfahrt
hatten Diego und ich lang und breit über die moralischen Grenzen dieser Reise
diskutiert. Diego hatte gesagt Es gibt nur ein Gesetz, das Gesetz unseres Gewissens. Wir müssen uns
auch weiterhin im Spiegel anschauen können und das Gefühl haben, uns treu
geblieben zu sein. Sonst kehren wir um und reden nicht mehr davon .
    Ich war es, die ihn
in dieses Abenteuer hineingezogen hatte, nach einer Nacht voller Tränen und
Verzweiflung. Nun ärgerte mich sein ernstes Gesicht, sein nachdenklicher Blick.
    Wir betraten das
Zimmer, die Frau saß mit dem Rücken zu uns da. Der Doktor kam uns entgegen, sie
rührte sich nicht. Ich streifte sie mit einem holprigen Blick, ohne sie richtig
anzusehen. Wir setzten uns, und erst nach einer ganzen Weile schaute ich sie
wirklich an, während der Doktor unentwegt weitersprach. Ich zog sie aus allem
heraus und verschlang sie heimlich. Ich sah eine Hand, ein Ohr und männlich
kurzes Haar. Sie war eine einfache Frau, bescheiden, doch anständig gekleidet.
Ihr Gesicht lang und hohlwangig, ihre Nase ebenmäßig. Sie umklammerte eine
Kunstledertasche mit einem festen Henkel. Ich warf einen Blick auf ihre
knochigen Fußgelenke und ihre bequemen Schuhe, die vorn geschnürt waren wie die
Schuhe mancher Kirchenfrauen. Sie nickte zu den Worten des Arztes. Oxana

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