Das schönste Wort der Welt
einen
Blick zu. Er drehte sich zu uns um und antwortete in seinem schlechten
Französisch.
»Das ist ein altes,
verlassenes Bergwerk.«
Wir bogen auf eine
Schotterstraße ab, der Wagen kam nur langsam voran. Es war ein Bauernhaus in
einem kleinen ländlichen Vorort. Vom Regen, der gerade erst aufgehört hatte,
war alles matschig. Ich sah einen Sprungfederrahmen und ein Kinderfahrrad an
einem Schuppen lehnen.
Ein vierschrötiger
Mann mit einem düsteren Gesicht und in einem Pullover mit roten und
tabakbraunen Rauten kam uns entgegen. Er war bestimmt noch keine vierzig,
wirkte aber viel älter. Die Frau wartete im Haus. Sie begrüßte uns und bot uns mit
einer kurz angebundenen Geste einen Platz an. Sie stellte ein Tablett mit
Gläsern auf den Tisch und eine Flasche mit einer rötlichen Flüssigkeit,
Kirschsaft, sie tippte sich an die Brust, um uns zu bedeuten, dass sie ihn
selbst gemacht hatte. Wir hörten ein Weinen. Sie ging weg und kam mit einem
kleinen Kind auf dem Arm wieder, das höchstens ein Jahr alt war. Sie gab ihm einen
Teelöffel zum Spielen und setzte sich. Ihr Mann redete, wobei er die Hände auf
dem Tisch wie Messer bewegte, als wollte er etwas durchschneiden. Er und der
Arzt sprachen Russisch miteinander, mehrmals fiel das Wort dollars . Oxana übersetzte für Diego: »Die
erste Rate zu Beginn der Schwangerschaft, die zweite im fünften Monat, die
dritte bei Übergabe.«
Sie hatte Italienisch
im Fernstudium gelernt und gebrauchte harte, bürokratische Formulierungen, ohne
sich bewusst zu sein, wie sehr sie uns verletzten. Diego schluckte.
»In Ordnung … Das
geht in Ordnung.«
Das Kind war so blass
wie seine Mutter und hatte die gleichen Augen wie sie, von einem erloschenen
Braun, es trug einen Filzstrampelanzug, dessen Farbe undefinierbar war. Jetzt
sah mich die Mutter an.
»Ich möchte wissen,
ob sie es gern tut, ob sie es von Herzen tut, das ist sehr wichtig für uns.«
Die Antwort kam von
ihrem Mann, in seinem Russisch und mit seiner nikotinverrosteten Stimme.
Oxana übersetzte, sie
seien sehr froh, die Frau sei glücklich, uns helfen zu können.
Er stand auf und
führte uns durchs Haus, wenige, aufgeräumte Zimmer, alle mit dem gleichen
weinfarbenen Keramikboden, Gardinen an den Fenstern, Lampen aus gestärkter
Spitze und wenige, massive Möbel aus hellem Holz. Der Mann machte die Türen
weit auf, wir steckten die Nase hinein. Alles war armselig, alles mit demselben
Geruch, doch sauber.
Ich fragte, ob ich
mit der Frau ein bisschen allein sein könnte. Sie war schüchtern und wich mir
aus, und ständig war da dieser viel zu besitzergreifende Ehemann, der uns
überwachte.
Sie nahm mich mit
raus, als sie Brennholz holte. Draußen war es unordentlicher, neben Stapeln von
Baumaterial lag überall aufgehäufter Hausrat herum. Oxana ging hinter uns. Ich
fragte die Frau nach ihrem Namen. Wir unterhielten uns über das Landleben und
die noch raue Jahreszeit. Sie erzählte, dass sie ein Ingenieursstudium begonnen
hatte, es jedoch aufgeben musste. Sie sah fast die ganze Zeit auf den Boden und
schaute nur manchmal zu Oxana auf, die übersetzen sollte. Diese ständige
Vermittlung war mir unangenehm, sie nahm dem Gespräch jede Vertrautheit.
»Weißt du, Tereza,
ich will nur wissen, ob es eine freie Entscheidung ist, oder ob es nicht dein
Mann ist, der …«
Sie schüttelte den
Kopf. Wiederholte, sie sei froh darüber, das tun zu können, sie hätte es auch
ohne Geld getan, doch sie brauche es für ihre Kinder, damit sie studieren
könnten. Sie sagte, sie sei gern schwanger, die Schwangerschaften bereiteten
ihr keinerlei Beschwerden, im Gegenteil, die Hormone des Lebens wären gut für
ihre Stimmung.
»Und was willst du
danach deinen Kindern sagen?«
Sie lächelte, ein
kleines Lächeln, das zwei kaputte Zähne zum Vorschein brachte, zwei
abgebrochene Frontzähne.
»Sie merken nichts
davon, ich bin sehr dünn … und ich ziehe mich immer so an.«
Sie tippte an ihr
etwas weiter geschnittenes Kleid, das ihr um die Knochen schlotterte. Ich
stellte ihr die Frage, die ich stellen musste.
»Und du? Wird es dir
nicht schwerfallen, dich von dem Kind zu trennen?«
Sie trug Gummischuhe,
mit denen sie nun im Matsch kratzte. Offenbar wollte sie nicht antworten.
Ich wandte mich an
Oxana: »Hat sie verstanden, was ich gesagt habe?«
Mir war ein
autoritärer Tonfall herausgerutscht, wie man ihn bei Kindern und alten Menschen
gebraucht, bei Menschen, die von uns abhängig sind.
»Nein«,
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