Das schönste Wort der Welt
er zu mir kam, zum
Kreis C.
Zu
viele Kreise ,
dachte ich, zu
viele Mütter .
»Es wäre mir lieber,
wenn es nur eine wäre … nur eine andere Frau.«
Er sagte, das sei
kein Problem, man könne alles mit ein und derselben Frau erledigen. Doch das
sei teurer.
»Eine Leihmutter mit
einem Kind, das ihr genetisch nicht gehört, kann keinerlei Ansprüche erheben,
die leibliche Mutter dagegen …«
Mir war klar, dass
ich ein höheres Risiko einging, doch ich wollte der Frau ins Gesicht sehen, sie
lächeln sehen, eine Verbindung herstellen.
Oxana übersetzte,
doch ich sah nur den Arzt an. Die großen Hände, den Mund, wenn er sprach, die kleinen,
tiefblauen Augen, und ich überlegte, ob ich ihm trauen konnte. Ob irgendetwas
an diesem Mann auf etwas Gutes hindeutete.
Wir begleiteten ihn
auf einem kurzen Rundgang durch das Ambulatorium und gingen in ein Zimmer mit
einer Krankenliege, einem Eisenschrank, einem Regal voller Ampullen und Medikamente,
einem Eimer voll Watte und einem weiteren für die Dilatatoren, ich sah einen
alten Plastikbehälter mit Henkel, vielleicht bewahrte er darin die Eizellen
oder die Samenflüssigkeit auf. Der Behälter sah aus wie eine dieser
Strandkühltaschen von früher.
Der Arzt setzte sich
auf die Liege und begann unumwunden über Geld zu reden. Er wolle in Valuta
bezahlt werden, Dollar oder Deutsche Mark. Es fielen keine Vermittlungsgebühren
an, auch keine Unterhaltskosten für die Leihmutter während der Schwangerschaft
und keine Kosten für den einheimischen Anwalt. Das wollten alles sie regeln.
»Und wenn die Mutter
es sich anders überlegt?«
Oxana übersetzte:
»Sie überlegen es sich nicht anders. Die Frauen stellen sich aus eigenem
Antrieb zur Verfügung.«
Einen langen Moment
dachte ich, dass im Blick dieses Mannes und in allem, was er gesagt hatte, kein
Funken Wahrheit steckte.
Wir kehrten zu Fuß
zum Hotel zurück. Es regnete. Oxana hatte einen Schirm und bestand darauf, ihn
von hinten über unsere Köpfe zu halten. Wir sagten, sie könne uns allein lassen
und nach Hause gehen. Dann verliefen wir uns. Die Schilder waren auf
Kyrillisch, und kein Mensch kannte auch nur ein Wort irgendeiner Fremdsprache.
Die meisten Geschäfte waren geschlossen, die Aufschrift PRADUKTI verblasst und die Schaufenster halb leer.
Wir gingen in eine Bäckerei. Ein paar einsame Brotlaibe auf einem Holzregal wie
Steine auf einem Grab. Die wenigen Leute, die vorbeikamen, drehten sich nach
uns um.
Vor einer Betonhütte
fotografierte Diego eine reglose alte Frau, die sich in einer großen Pfütze
spiegelte. Sie rührte sich nicht und verzog keine Miene angesichts dieses
Jungen, der sich hinkniete und das dreckige Wasser am Straßenrand
fotografierte. Diego stand mit nassen Knien auf und kramte einen
Zehn-Dollar-Schein aus seinen Taschen. Die Alte hatte ein gelbliches Gesicht,
das aus einem schwammartigen Gewebe zu bestehen schien, aus einem
vertrockneten, kranken Muskel. Sie warf sich zu Boden und wollte Diego die Hände
küssen. Er versuchte, sie festzuhalten und diese übertriebene Reaktion zu
stoppen. Er gab ihr einen Kuss auf den Kopf, auf das Kopftuch.
Wir gingen weiter.
Schließlich fanden
wir das Hotel, das an diesem trüben, regenverhangenen Nachmittag aus dem Beton
heraustrat.
Ich stellte mich
unter die schlaffe Dusche, unter einen Brausekopf mit verstopften Löchern, der
hier und da gegen den Plastikvorhang spritzte, weit weg von meinem Körper. Die
Betten waren klein und separat, wir rückten sie zusammen, das Quietschen des
Eisens auf dem Fußboden zerkratzte unsere Ohren. Die Laken schlossen sich
sackartig um die Federkissen und hatten Ähnlichkeit mit einer Zwangsjacke.
Diego beschwerte sich nicht über die Dusche, er ging zum Fenster und
fotografierte, was unten zu sehen war: eine lange, graue Mauer mit einer
Spirale Stacheldraht darauf, wie an einer Kaserne.
Wir gingen zum Essen
hinunter. Da war ein bisschen Leben, eine Sängerin in einem roten
Paillettenkleid, viele einsame Männer und einige Pärchen. Ein schwarz-weißer
Kellner mit einem prallen Bauch und großen, langsamen Füßen sah wirklich aus wie
ein Pinguin. Wir setzten uns an einen Tisch, und man brachte uns eine große
Speisekarte mit einer französischen und einer englischen Übersetzung. Wir
studierten sie und riefen den Kellner. Es war eine kleine Farce. Jedes Mal,
wenn wir ein Gericht nannten, schüttelte der Pinguin den Kopf und breitete die
Arme aus, njet .
Es gab Borschtsch,
und den bestellten wir. Dann kam
Weitere Kostenlose Bücher