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Das schönste Wort der Welt

Das schönste Wort der Welt

Titel: Das schönste Wort der Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: M Mazzantini
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übersetzte.
    Ich bemerkte einen
Geruch nach Gras und Asche. Ich fragte die Frau, ob sie von hier sei, aus
dieser Stadt. Es war einfach die erste Frage, die mir in den Sinn gekommen war.
    Sie lächelte mir
gezwungen zu und sah bei ihrer Antwort Oxana an. Sie lebe auf dem Land, etwa
zwanzig Kilometer von der Stadt entfernt. Wir sagten uns ein paar
Belanglosigkeiten. Dann kam die Riesenfrau mit dem Samowar herein und servierte
Tee. Die Frau trank, sie neigte den Kopf zur Tasse, darauf bedacht, nicht zu
schlürfen und die Untertasse nicht zu bekleckern.
    Dann stand sie auf
und deutete eine Verbeugung an. Oxana übersetzte, die Signora müsse nun gehen,
damit sie nicht ihren Bus verpasste, der sie nach Hause bringen sollte. Die
Frau gab mir die Hand, sie war kalt und dermaßen sanft, dass sie fast körperlos
wirkte.
    »Danke«, sagte ich.
    Diego stand auf. Er
hatte kein einziges Wort gesagt. Auch er gab ihr die Hand und verbeugte sich,
als müsste er sie für etwas entschädigen.
    Die Frau machte eine
freundliche Geste, eine tröstende, sie tätschelte Diegos Hand, hastig, wie eine
Mutter die Hand ihres Kindes.
    Sie ging, ohne die
geringste Spur zu hinterlassen, mitsamt ihrem Aschegeruch und ihrer
Plastiktasche.
    »Sie passt perfekt«,
sagte der Arzt. »Sie ist eine zuverlässige, sehr zurückhaltende Frau.«
    Es war ein kurzes
Informationsgespräch gewesen, so sollte es sein, so war es üblich. Wir hatten
über gar nichts geredet.
    »Dazu ist später noch
Zeit«, sagte der Arzt. »Sie sollten ins Hotel zurückgehen und eine Nacht
darüber schlafen.«
    »Wie alt ist sie?«,
fragte ich.
    »Zweiunddreißig.«
    »Hat sie eigene
Kinder?«
    »Sie hat drei.«
    »Ist sie
verheiratet?«
    Der Arzt lachte laut
auf.
    »Natürlich ist sie
verheiratet.«
    »Wie können wir dann
sicher sein, dass …« Ich brach verlegen ab.
    Der Arzt verstand,
offenbar beantwortete er einen Fragenkatalog, den er schon oft beantwortet
hatte.
    Oxanas Stimme sagte,
die Signora werde nach der Befruchtung ein paar Tage in der Klinik bleiben, wo
der Doktor den erfolgreichen Verlauf überwachen werde, erst danach werde sie
nach Hause zurückkehren.
    Er lächelte. »Ihre
Interessen sind auch unsere.«
    Er fuhr sich mit der
Hand über den Kopf, über die Brillantine, die sein Haar gefangen hielt, und
seine Stimme wurde härter.
    »Unsere Frauen sind
anspruchslos, und sie sind großzügig, sie betrachten sich als neutrale
Elemente. Nie würden sie ein Kind vom eigenen Mann weggeben. Da können Sie ganz
beruhigt sein.«
    Wir aßen den Kaviar
mit weniger Heißhunger als am Abend zuvor. Abgelenkt von zahllosen Gedanken.
Von Zeit zu Zeit fiel ein Wort auf den Tisch. Die Sängerin trug dasselbe rote
Kleid, hatte dieselben samtigen Augen und dieselbe heisere Stimme wie am
Vortag. Ich dachte über das Gespräch nach, über die Frau. Sie hatte schlicht
und sauber ausgesehen, mit einem leichten Flaum im Gesicht und strubbligen
Augenbrauen, sie benutzte nicht einmal eine Pinzette. Ihre Schuhe und ihre
Haare waren wie die einer Nonne gewesen. Sie passte perfekt, der Arzt hatte
recht. Ein paar Wodka waren geflossen, hatten sich tief im Körper eingerichtet
und ein glitzerndes Nest geschaffen.
    »Na? Was meinst du?«
    »Sie scheint mir in
Ordnung zu sein.«
    »Also ist sie es.«
    »Wollen wir tanzen?«
    Wir tanzten zwischen
den Rücken plumper Männer und Frauen mit kräftigen Hinterteilen und zu süßem
Parfum, wir tanzten eng umschlungen und einsam.
    Der Arzt holte uns
gleich nach dem Mittagessen ab. Wir stiegen in eine blaue Limousine mit
Ledersitzen, die nach dem Reinigungsmittel rochen, mit dem sie erst vor kurzem
behandelt worden waren. Die Straßen waren ruhig, fast zu ruhig, und auch in den
Wohngebieten menschenleer, helle Häuser mit fahlen, für Bergregionen typischen
Dächern vor der endlosen Ebene. Im Radio lief eine Nachrichtensendung mit
kurzen musikalischen Unterbrechungen. Wir verstanden, dass es um den Krieg
ging, und baten Oxana, uns zu übersetzen, was gesagt wurde.
    »Sie haben ein
Abkommen zur Einstellung der Kampfhandlungen in Kroatien unterzeichnet.«
    Der Arzt lachte auf.
    »Das machen sie am
liebsten, erst unterschreiben und sich dann nicht an die Abmachungen halten.«
    Wir kamen an einem
mit Eisenpfosten umzäunten Gebiet vorbei. Die Pfosten zogen sich über Hunderte
von Metern in die Landschaft, und dahinter standen halbkreisförmig angeordnete,
massive Gebäude.
    »Was ist das?«,
fragte Diego.
    »Ein Bergwerk für …«
    Der Arzt warf ihr

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