Das schönste Wort der Welt
übersetzte
Oxana. »Für sie ist das normal, sie weiß, dass ihr das Kind nicht gehört.«
Endlich sah Tereza
mich an.
» Ja eto dom .«
»Ich bin das Haus.«
Sie bückte sich, ich
schaute auf ihren von den Schwangerschaften abgenutzten, weichen Bauch unter
dem Kleid. Sie griff unter das Stroh im Hühnerstall und zog zwei noch warme
Eier heraus. Sie bestand darauf, dass ich sie nahm, man könne sie gut
austrinken. Ich schüttelte den Kopf, dann steckte ich sie mir in die
Manteltasche. Und ließ eine Hand dort, auf diesen warmen Eiern.
Nach einer Weile
sagte sie: »Du darfst nicht glauben, dass ich eine schlechte Frau bin.«
Ihr Mann tauchte auf,
um uns zu holen, er stieß ein merkwürdiges Pfeifen aus, als wollte er die
Hühner rufen. Sofort lief Tereza zum Haus. Ich blieb hinter ihr und musterte
ihren Hintern und ihre Hüften, wie man ein Tier mustert. Sie war nicht schlecht
gebaut, hatte lange Muskeln und zarte Fußgelenke. Sie hatte keinen körperlichen
Defekt, keine Anomalie. Sie war neutral … Ja, genau das war sie. Sie war nicht
fröhlich, und sie war nicht traurig, sie war nicht schön, doch auch nicht
hässlich, sie hatte nicht viel menschliche Wärme, doch sie war auch nicht abweisend,
sie war einer jener farblosen Menschen, die keinen Eindruck hinterlassen, ein
Lamm in der Herde. Sie war seit drei Sekunden weg, und schon hatte ich keine
Erinnerung mehr an sie. Sie passte gut, und wahrscheinlich eignete sie sich
gerade deshalb so perfekt, weil sie ein Niemand war. Sie war Frau Niemand. Ein
Kreis auf dem Papier.
Ich schlenderte noch
ein wenig allein auf dem Hof vor dem Haus herum. Ich sog den Geruch ein, ließ
meine Blicke schweifen und erkundete das Terrain, die wenigen Meter, auf denen Tereza
mit unserem Kind im Bauch leben würde. Ich bückte mich und räumte eine rostige
Eisenspitze weg, wie eine vorsorgliche Mutter.
Ich ging zurück.
Diego hatte angefangen, das Kind zu fotografieren, das sich nun am Rand eines
kaputten Laufställchens festhielt und mit dem Mund am Plastik klebte.
Vollkommen desinteressiert betrachtete es das Objektiv der Kamera. Es war so
farblos und passiv wie seine Mutter. Es hatte nichts von einem kindlichen
Herumzappeln. Es stand nur da, in Trübheit eingesperrt wie ein Fossil in Harz,
und sein Elend hatte etwas Ewiges, nutzloses Fleisch, das sich seit
Jahrhunderten fortpflanzt, das aufkeimt und spurlos wieder verschwindet. Diego
fotografierte das Kind, und vielleicht gefiel ihm und berührte ihn gerade diese
reglose Unveränderlichkeit des menschlichen Schicksals.
»Lass uns gehen.«
Es passte mir nicht,
dass er dieses Kind fotografierte. Manchmal passte es mir nicht einmal, ihn
überhaupt fotografieren zu sehen. Er umhüllte die Kamera wie ein Herz, wie
etwas, das pulsierend aus seiner Brust gekommen war und das er an sich presste,
um noch ein paar Augenblicke zu leben.
»Lass uns gehen.«
Mir passte seine
Miene nicht, sein hohlwangiges Missionarsgesicht. Es lag zu viel Niederlage in
dieser Art zu lieben. Irgendwann würde das alles vorbei sein. Und irgendwann
würde er stundenlang nur noch unser Kind fotografieren, und all die anderen,
all die Antes der Welt, würden in einen niederen Tümpel rutschen.
Diego sagte die ganze
Fahrt über kein Wort, er döste an der Fensterscheibe vor sich hin.
»Wie geht’s jetzt
weiter?«
Oxana übersetzte.
Schon am nächsten Tag werde Tereza zur Blutentnahme ins Ambulatorium gehen. Der
Doktor werde die Follikelaktivität überwachen, der Eisprung stehe unmittelbar
bevor, es sei vielleicht eine Frage von Stunden. Eine Stimulation des
Eierstocks sei überflüssig, da die Frau überaus fruchtbar sei.
Der Doktor drehte
sich um: »Es sei denn, Sie wollen Zwillinge oder Drillinge.«
Ich lachte, schüttete
mich aus vor Lachen. Schon seit langem hatte ich nicht mehr so gelacht. Jetzt
gefiel mir dieser direkte, grobe Mann. Ein echter Kosak, dem Kampf gegen die
menschliche Unfruchtbarkeit verpflichtet!
Diego lachte nicht.
Ich nahm seine Hand.
Ich hatte nicht die
Absicht, seine schlechte Laune und seine Skrupel mitzumachen. Ich sorgte mich
jetzt um die Frau, um moi malenki dom , mein kleines Haus. Ich würde ihr zusätzlich Geld geben, natürlich …
Ich würde ihr Vitamine und Mineralien schicken, Magnesium und Eisen. Die
Befruchtung schien mir jetzt nur noch eine Kleinigkeit zu sein. Etwas, das
rasch abgewickelt wurde, innerhalb weniger Minuten, in diesem Ambulatorium mit
den Spitzengardinen.
Der Arzt war auf
dieser Rückfahrt
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