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Das schönste Wort der Welt

Das schönste Wort der Welt

Titel: Das schönste Wort der Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: M Mazzantini
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veränderte. Dann lachte sie.
    »Mein Cousin Epifan
arbeitet in einer Fabrik und wird mit Toilettenpapierrollen bezahlt, mit Bergen
von Toilettenpapier. Das ist das Einzige, woran es bei uns zu Hause nie
mangelt.«
    Ich wollte ihr
helfen, sie jedoch nicht verletzen, ich griff neben mich, nach meiner
Handtasche, Oxana blitzte mich an und hob die Hand.
    » Njet !«
    Ich log, sagte, ich
hätte nur nach der Kakaobutter für meine Lippen gesucht.
    Am Nachmittag gingen
wir wieder ins Ambulatorium. Tereza war schon da, sie hatte die Untersuchungen
hinter sich und zog sich gerade an. Ohne um Erlaubnis zu bitten, trat ich in
die Tür, Tereza war über die Liege gebeugt. Ich sah kurz ihren Rücken. Die
Schulterblätter, mager wie die Flügel eines gerupften Huhns. Auch dort hatte
sie einen Fleck, einen Bluterguss, der vom Hals abwärtslief. Ich lächelte sie
an. In einer Ecke des Raumes stand ihr Mann, er kam auf uns zu. Ich drehte mich
um. Aufmerksam betrachtete ich Terezas Auge, es war dunkler und stärker
geschwollen als am Vortag. Der Arzt sagte, die Follikelaktivität habe begonnen.
Der Ehemann rieb sich die Hände an seiner Hose. Für mich war es das hässlichste
Geräusch auf Erden.
    » Njet «, sagte ich.
    Der Arzt verfing sich
in meinem Blick. Krümmte sich.
    »Diese Person ist
ungeeignet für uns. Entschuldigen Sie.«
    Mitten auf der Straße
brutzelt eine große Öltonne. Es ist Samstag, Markttag. Ein Mädchen mit nassen
Zöpfen verschlingt einen dunklen Kringel. Unter einem tropfenden Schutzdach
verkauft eine alte Frau einzelne kleine Gläser und einen Messingleuchter. Über
Nacht hat sich die Kälte herabgesenkt. Das Gras am Straßenrand ist weiß und
starr. Der eisige Wind sticht ins Gesicht. Im fegenden Schneeregen verkauft
eine andere Alte steife, schwere Socken und wieder eine andere ein Bund Rüben,
eine Puppe aus Gummi und ein Kaninchen. Die Frauen sind so reglos wie die
Eiszapfen, die sich in langen, starren Tropfen an die Dächer klammern. Diego
fotografiert an diesem Morgen nicht. Er kauft alles, wirft alles in seinen
Rucksack. Er zieht bündelweise ukrainische Karbovanets hervor, die nichts mehr
wert sind, und schickt die alten Frauen nach Hause, an den Ofen.
    Noch einmal Kaviar.
Es ist Samstag, die Sängerin hat sich von der Stange gelöst und trägt das
Mikrofon heute Abend durch die Gegend, sie wogt an den Tischen entlang und
kommt zu uns, vielleicht hat sie gesehen, dass ich geweint habe. Sie streicht mir
übers Haar und bleibt einen Moment zwischen uns stehen. Von nahem ist sie
älter.
    Diego will nur weg,
doch ich will bleiben. »Nur noch einen Tag«, sage ich. Ich starre die Frauen
auf der Straße an, die Aushilfe an der Tankstelle, die Arbeiterin, die eine
Wand streicht. Ich durchwühle sie mit meinen Blicken, verweile auf ihren
Körpern, reibe meine Schnauze an dem, was mir fehlt.
    »So geht das nicht«,
sagt Diego.
    »Lass mich in Ruhe«,
antworte ich.
    Oxana läuft hinter
uns, mit ihrem hellblauen Mantel und ihrem weißen Statuenhals. Ich frage sie:
»Könntest du es nicht machen?«
    Oxana antwortet
nicht, sie tut so, als hätte sie das nicht verstanden.
    Diego verdreht mir
das Handgelenk, er tut mir weh.
    Der Arzt lässt uns
nicht weg. Er hat ein neues Treffen arrangiert. Diego hat ein merkwürdiges
Gesicht, er ist hässlich an diesem Morgen, seine Züge sind verzerrt. Heute
Nacht hat er weit weg von mir geschlafen, in diesem Bett, so weiß und straff
gespannt wie eine Zwangsjacke.
    Die Frau sitzt auf
demselben Stuhl, auf dem Platz der anderen. Sie ist jünger, kurvenreicher. Sie
steht auf, lächelt. Sie hat unversehrte Zähne und einen kräftigen Mund. Sie ist
größer als Diego. Und während die erste nach gar nichts gerochen hat, scheint
diese hier aus einer Fabrik zu kommen, in der schlechtes Kölnischwasser
hergestellt wird. Ein süßlicher Gestank überschwemmt die Luft. Sie trägt eine
weiße Bluse, die mit einer Kamee auf der Brust zusammengehalten ist, und einen
dunklen Rock wie ein Internatszögling. Sie scheint sich extra für dieses
Gespräch so angezogen zu haben und lauert nun auf unsere Reaktion. Ihre
munteren Augen huschen in alle Richtungen, genau wie ihre Stimme. Ich
begutachte ihre Haut, sie scheint in Ordnung zu sein. Ihre Haare sind blondiert
und am Ansatz dunkler. Ihr Gesicht ist sonderbar, wie das eines ungeschminkten
Clowns. Dann merke ich, dass sie keine Augenbrauen hat, stattdessen nur die
Knochenwölbung, weiter nichts. Sie wirkt wie ein unvollendetes Bild.
    Ich

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