Das schönste Wort der Welt
redselig und entspannt, er beantwortete alle Fragen und
entkräftete jede Sorge. Man werde die Frau mit regelmäßigen Kontrollen
begleiten, werde uns die Ultraschallbilder und alle Ergebnisse der pränatalen
Diagnostik nach Italien schicken, und wir könnten die Frau jederzeit besuchen
kommen. Er empfahl, mir zumindest, die letzten Monate der Schwangerschaft in
der Ukraine zu bleiben.
»Dann müssen Sie
niemandem etwas erklären, und wenn Sie möchten, können Sie ganz einfach sagen,
Sie hätten im Ausland entbunden. Es wird wichtig für Sie sein, Anteil zu
nehmen, Ihre Hand auf den Bauch der Leihmutter zu legen und die Kindsbewegungen
zu spüren. Das wird Ihnen helfen. Ihnen stehen große Aufregungen bevor, Sie
müssen auf Ihre Gesundheit achten, häufig ist es die auftraggebende Mutter, die
krank wird. Sie werden sich schwach fühlen und zum Zeitpunkt der Geburt
regelrecht Wehen spüren.«
Ich hatte das Gefühl,
nur noch einen Schritt vom Leben entfernt zu sein.
Diego sah aus dem
Fenster und hörte zu, von Zeit zu Zeit fotografierte er etwas, einen Traktor,
der die Felder zerschnitt, einen Mann auf einem Fahrrad. Er hatte monatelang
keine Fotos gemacht, und jetzt fotografierte er dieses Nichts, diese hässlichen
Felder, diesen staubigen Himmel.
Wir kamen wieder an
der langen Umzäunung aus Eisenstangen und Stacheldraht vorbei, die das Bergwerk
umgab, und an Schildern, die wer weiß was bedeuteten. Diego nahm die Kamera
hoch und schoss ein Bild durch die Fensterscheibe. Er fragte noch einmal, was
denn in dieser Bunkeranlage gefördert werde, doch Oxana drehte sich nicht um
und zuckte nur schwach mit den Achseln.
An diesem Abend trug
die Sängerin ein anderes Kleid, sie war ganz in Weiß, wie eine dicke Wolke, der
Oberkellner hatte uns Kaviar gebracht und sein Trinkgeld bekommen. Dann floss
der Wodka und brachte die Wörter.
»Ihre Zähne sind
abgebrochen. Die Zähne dieser Frau sind abgebrochen.«
Ich versuchte zu
lächeln. »Na und?«
»Mein Schatz, hast du
das wirklich nicht gesehen?«
»Was soll ich nicht
gesehen haben?«
Er fuhr sich mit der
Hand übers Gesicht und hielt auf dem Wangenknochen inne.
»Sie hatte da etwas,
einen Abdruck … einen blauen Fleck.«
Ja, ich hatte dieses
blaue Auge gesehen, als sie sich zu mir umgedreht und gesagt hatte Ich bin das Haus .
»Das wird das Kind
gewesen sein, es hat ihr mit irgendwas aufs Auge geschlagen … Oder sie hat sich
bei der Feldarbeit verletzt.«
Diego nickte.
»Ja, vielleicht.«
Später, im Dunkeln,
konnte ich nicht einschlafen, es herrschte ein unangenehmer Geruch im Zimmer.
Ich hatte meinen Mantel zum Trocknen auf die Heizung gelegt. Schließlich waren
mir die zwei verdammten Eier in der Tasche doch noch zerbrochen, ich hatte
nicht mehr an sie gedacht. Die Schalen hatte ich ins Klo geworfen und die
Manteltasche nach außen gekehrt, um sie, so gut es eben ging, auszuwaschen.
Jetzt zog dieser Geruch nach trocknenden, stinkenden Eiern von der Heizung
herüber.
»Ihr Mann verprügelt
sie, das denkst du doch, oder?«
Auch Diego schläft
nicht.
»Dieser Mann gefällt
mir nicht, und das Kind ist sehr traurig.«
Am nächsten Tag
gingen wir früh aus dem Haus. Oxana holte uns im Hotel ab, und wir luden sie
zum Frühstück ein. Sie hielt ihr weißes Gesicht an die warme Teetasse und
presste sie an die Wange. Sie war zu Fuß gekommen, durchgefroren und erschöpfter
als an den Tagen zuvor. Als Diego aufstand und ins Zimmer hinaufging, um einen
Film in den Fotoapparat einzulegen, fragte ich sie auf den Kopf zu: »Werden die
Frauen bei euch von den Männern geschlagen?«
An diesem Morgen
hatte sie wenig Lust zu lächeln. Sie sagte, dass sich die Frauen frühmorgens
auf der Straße musterten, dass sie sich zählten.
»Es gibt keine Arbeit
mehr, und die Männer saufen bis zum Umfallen.«
Ihre Stimme war matt.
Ständig rieb sie sich die rote Nase, ihre bleichen Lippen fanden nicht zu ihrer
natürlichen Farbe zurück.
»Mein Bruder hat auf
einem Schiff gearbeitet, dann hat er seinen Job verloren, und wenn ich ihm
jetzt die Tür aufmache, kommt er herein und schlägt nach ein paar Schritten lang
hin. Er ist so heruntergekommen …«
Ich nahm ihre Hand.
»Oxana …«
Sie schien weit weg
zu sein, ihr ganzer jugendlicher Stolz war schlagartig zerbröselt.
»Kasimir, mein
Nachbar, ein Greis von achtzig Jahren, hat sich aus dem Fenster gestürzt, das
ist passiert, ja, er hatte nichts mehr zu essen.«
Sie weinte, ohne dass
sich ihr Gesichtsausdruck
Weitere Kostenlose Bücher