Das schönste Wort der Welt
ist wie ein Hieb
von innen, wie ein vorbeiziehender Besen, der beim Ausfegen kratzt.
»Es gibt einen Flug
nach Sarajevo, ich bin hier, um dir das zu sagen.«
Der Flughafen ist
halb leer, nur mit Personal und ein paar einheimischen Passagieren bevölkert.
Das Gepäckband steht still, und als es sich in Gang setzt, transportiert es ein
paar vereinzelte Koffer, Sachen, die eine Weile im Kreis herumfahren und von niemandem
abgeholt werden. Ein australischer Kameramann mit einer Fernsehkamera auf der
Schulter filmt einen sprechenden Mann. Es ist ein Taxifahrer, an seine Autotür
gelehnt, eines jener eingefallenen Gesichter, die man in Sarajevo oft sieht,
Knochen, die sich unter nikotinbleicher Haut abzeichnen. Gojko ist auch da, er
spielt den Dolmetscher. Als er uns entdeckt, wird er rot, ungeduldig, bedeutet
uns, zu warten, und breitet die Arme aus, um uns zu verstehen zu geben, dass er
da nur zufällig reingeraten ist. Was er übersetzt, scheint ihm nicht zu
gefallen.
… sie haben gesagt, sie lassen uns ein Stück Land, gerade so viel, wie für die Gräber
reicht. Das haben sie gesagt … in unserem Parlament …
»Verdammter
Nihilist«, sagt er und schickt den Taxifahrer und den australischen Mistkerl
mit einer Handbewegung zum Teufel. Er küsst uns. Presst uns auf die übliche
Weise an sich, indem er uns mit seinen langen, trägen Armen, die plötzlich
stark werden, den Brustkorb zerdrückt, wie ein Schraubstock.
»… du schöne Frau, du
dünner Fotograf …«
Keiner von uns dreien
hätte gedacht, dass wir uns so schnell wiedersehen, es ist ein Morgen im März.
Seit der Kroatienreise sind neun Monate vergangen, die Zeit einer
Schwangerschaft, eines Krieges.
Er zieht uns an sich.
Lehnt seine Stirn gegen unsere, fragt, ob es uns viel Mut gekostet habe,
herzukommen.
»Wegzubleiben war
viel schlimmer.«
Er sagt, dass wir
seine Freunde sind, und umarmt uns noch einmal. Ich sehe, wie seine kleinen,
honigfarbenen Augen tränensumpfig werden.
»Das ist der Dichter,
der sich immer mal in die Hosen macht«, sagt er. Dann tut er so, als würde er
pinkeln, und lacht.
Diego atmet tief
durch; er breitet die Arme aus und atmet tief durch, die Luft ist noch kalt,
doch der Frühling ist schon da.
Gojko trägt eine
Gore-tex-Jacke, Aus
Deutschland ,
sagt er, er hat sie einem Journalisten von Reuters Deutschland abgetauscht und
zieht sie sich hier auf dem Flughafenvorplatz aus. Darunter trägt er nur ein
Baumwoll-T-Shirt, er will, dass wir die Jacke in die Hand nehmen, will uns
zeigen, wie leicht sie ist. Er zieht sie wieder an, während wir zum Auto gehen.
Er sagt, er spüre die
Kälte nicht mehr, die Jacke sei die Lösung seines Lebens, er könne auch bei
zehn Grad unter null die ganze Nacht im Freien bleiben. Er redet über Gore-tex,
über die Literaturzeitschrift, in der er veröffentlicht, über den Radiosender,
in dem er gelegentlich arbeitet und wohin er uns bringen will, weil da Leute
sind, deren Gedanken schnell kreisen, ganz wie die Rotorblätter eines
Hubschraubers. Ich werfe einen Blick auf die Straßen, auf die Linden, auf die
bleigrauen Wohnblocks. Ich atme tief durch. Warum sind wir nicht schon früher
hergekommen? Diese Stadt ist wie eine Manteltasche für uns, wir stecken unsere
Hände ins Dunkel und spüren eine Wärme, die aus der Tiefe kommt.
Wir fahren in die
Stadt. Gojkos Stimme ist warmer Schlamm, er erzählt, dass jetzt viele
Journalisten unterwegs sind, dass unter der Ägide der Europäischen Gemeinschaft
eine internationale Konferenz über Bosnien-Herzegowina stattfindet und er
wieder als Fremdenführer arbeitet, wie damals während der Olympischen Spiele.
Diego fragt ihn nach
dem näherrückenden Krieg.
Gojko wirft seine
Zigarette aus dem Autofenster.
»Die Augen der Welt
sind auf uns gerichtet. Hier wird nichts passieren.«
Er bringt uns zu
einer Kafana, zu der am Markale, gepolsterte Wände und aus den Lautsprechern
bosnischer Blues. Gojko raucht schon wieder, wir betrachten sein Gesicht, das
wohl etwas verquollener ist als im letzten Sommer. Er senkt den Mund zu meiner
Hand auf dem Tisch, er küsst sie. Dann nimmt er die Kamera von der roten
Kunstlederbank und schüttelt den Kopf, weil Diego immer noch seine legendäre
Leica hat, die seiner alten Reportagen.
Diegos erstes Foto
zeigt diese Kaffeebar, diese Sitzbank und mich Arm in Arm mit Gojko, der
Zeigefinger und Mittelfinger zu einem V spreizt und so vor unseren lächelnden
Gesichtern das Victoryzeichen macht.
»Liebt ihr zwei
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