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Das schönste Wort der Welt

Das schönste Wort der Welt

Titel: Das schönste Wort der Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: M Mazzantini
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das tief Luft holen muss.
    »Was ist?«, frage ich
ihn.
    »Nichts, ich sehe
dich an.«
    Er nimmt meine Hand,
fragt mich, ob alles in Ordnung sei.
    Ich sage, doch, doch,
alles wunderbar, aber ich bin etwas gereizt, habe den piepsigen Tonfall einer
Frau, die sich verteidigt.
    »Du kannst mich
jederzeit anrufen, egal, um was es geht, ich schlafe sowieso immer im Sessel,
im Sitzen.«
    »Wieso, hast du kein
Bett?«
    »Ich schlafe nicht
gern im Liegen, dann klopft mir das Herz in den Augen.«
    Ich sehe ihn an,
diese Augen, in denen nachts sein Herz klopft. Er kneift sie ein wenig
zusammen, es sieht aus, als wollten sie lächeln, doch es gelingt ihnen nicht
ganz. Im Grunde sitzen wir, er und ich, noch immer in der damaligen Zeit,
dazwischen ist nichts gewesen, nicht eine Stunde Frieden.
    Ich betrachte seine
leicht geschwollene Hand mit den Sommersprossen und dem zu engen Trauring.
    »Du bist
verheiratet?«
    Er nickt.
    »Und wie ist sie?«
    »Ich habe Glück
gehabt.«
    Er erzählt mir von
den Jahren als Flüchtling, den Gelegenheitsarbeiten als Parkwächter, als
Campingplatzwart, als Tankwart.
    »Als Bosnier war man
gut dran, am Anfang taten wir allen mächtig leid«, er grinst und bestellt zwei
Rakija.
    »Diese
Gastfreundschaft hielt nicht lange vor, Europa hörte bald auf, sich in der
Pflicht zu fühlen. Unser Ruf ist nicht der beste, wir trödeln herum, sind zu
beschaulich.«
    Eine verkrüppelte
Frau, klapperdürr, geht an mir vorbei und zieht ein Bein nach wie einen Besen.
Wortlos schiebt sie ihre geöffnete Hand auf den Tisch. Gojko legt fünf
Konvertible Mark hinein. Die junge Frau ist so schwach, dass sie nicht einmal
die Hand schließen kann. Als sie weggeht, sehe ich ihre lappigen, dreckigen
Jeans über einem Hintern, der nur aus Knochen besteht.
    »Erinnerst du dich
noch an sie? Sie hat die Lose für die Stadtlotterie verkauft.«
    Ich erinnere mich
dunkel … an eine Hand, an einen albernen Glücksbringer.
    »Sie war eines der
schönsten Mädchen von Sarajevo. Jetzt nimmt sie Drogen.«
    Er kippt den Rakija
hinunter und kneift erneut die Augen zusammen.
    »Vorher unter den
Granaten zu rennen war leichter, als nachher über die Trümmer zu spazieren.«
    Pietro kommt mit
einer Eistüte in der Hand zurück und starrt die junge Frau an, die nun an der
Hauswand steht wie ein Hund, der pinkeln muss.
    »Warum humpelt sie
so?«
    »Eines von den
Andenken, die du auf dem Markt gesehen hast, hat sie in die Hüfte getroffen.«
    Mein Sohn ist nervös,
rutscht auf seinem Stuhl hin und her.
    »Kann man ihr denn
nicht helfen?«
    »Nein, kann man
nicht. Wie ist das Eis?«
    Pietro leckt es, und
eine Weile ist nur noch das Schlürfen seiner Zunge zu hören. Er hat sein
schläfriges Gesicht in die Hand gestützt.
    »Gehen wir«, sagt er.
»Ich kann nicht mehr.«
    Aber ich könnte jetzt
noch stundenlang herumlaufen. Quer durch die Stadt und weiter bis nach Ilidža, in diesem Sommernebel, diesem
schmutzigen Dunst, der ein bisschen Wirklichkeit auslöscht … könnte wie ein
Holzstäbchen in einen Kuchen jetzt in den dampfenden Plunder der Erinnerungen
gleiten.
    Ich schaue hoch zum Trebević. Frage Gojko nach der Hütte, wo sie
Sauermilchkäse und heißen Grappa servieren. Er antwortet nicht gleich und
verteilt den Geschmack dieser Erinnerung in seinem geschlossenen Mund.
    »Du versetzt mich
zurück in die alte Zeit … du …«, flüstert er.
    Dann sagt er hart,
davon sei nichts mehr übrig, die Seilbahn sei geschlossen und ihre Kabinen wie
hohle Zähne am Himmel vergessen.
    »Alles gespickt mit
Minen da. Es ist ein Klacks, sie zu legen, doch um sie zu räumen, braucht man
Jahre und Unmengen von Geld. Aber wenn du willst, gehen wir hin, klettern hoch
und riskieren Kopf und Kragen, um noch einmal dorthin zurückzukehren.«
    Seine Augen blitzen
auf, als erwartete er eine Herausforderung, etwas Verrücktes von mir.
    »Gute Nacht.«
    Wir nehmen die
Treppe, weil Pietro dem Fahrstuhl nicht traut.
    »Ist dein Freund da
verrückt?«
    »Die Bosnier sind
alle verrückt, und sie bilden sich was drauf ein.«
    Ich torkele die
Stufen hoch.
    »Bist du betrunken?«
    »Ein bisschen.«
    »Ist ja ekelhaft.«
    Er putzt sich die
Zähne, ich sitze auf dem Bett und warte darauf, dass er das Bad räumt. Er ist
in Unterhosen, über das Waschbecken gebeugt, den weit offenen Mund voller
Schaum, er betrachtet sich im Spiegel, während er mit erhobenem Ellbogen
bürstet. Er übertreibt es mit der Mundhygiene, zweimal hatte er schon Karies
und versteht nicht, warum.

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