Das schönste Wort der Welt
Kohlebecken angefühlt hätten. Er macht
einen Schritt auf uns zu, kommt näher. Später erzählte er mir, dass das so
gewesen sei, weil er mich gesehen habe, trotz seiner Augen, trotz seiner
Müdigkeit. Er fühlte sich gedankenlos angezogen, wie ein Stier vom Rot. Auch
ich sehe ihn an, warte auf ihn, während er näherkommt. Man kann nie sagen, was
… was es eigentlich ist. Es ist eine Membran, vielleicht ein Gefängnis von
Anfang an. Fern von uns ist ein Leben dem unseren entgegengereist, wir spürten
seinen Wind und den Duft eines Anhaltens. Sein Schweiß, seine Mühe waren in
uns. Diese Anstrengung war für uns.
Wir verharren reglos
wie zwei Insekten und spüren diesen gleichzeitigen Taktschlag der Dinge. Meine
Wangen sind rot, da ist zu viel Rauch, sind zu viele Ellbogen, zu viele
Stimmen. Da ist gar nichts mehr. Nur noch der Fleck dieses Pullovers, der auf mich
zukommt. Im Nu brennen meine Augen die Konturen dieses Körpers nieder. Mir ist,
als spürte ich seine Seele, das ist alles.
Er kommt an unseren
Tisch, das Mädchen hat ihm seine Garderobe wiedergegeben, eine blaue, etwas
steife Winterjacke, er zieht sie an. Zum Schwitzen eingemummt steht er da.
Gojko beugt sich vor und umarmt ihn über den Tisch hinweg, auf dem getanzt wird
und auf dem ein Bierglas rollt.
»Willst du gehen?«
Er hat sich eine
Wollmütze mit Bommel aufgesetzt und nickt, mein Blick liegt auf der kleinen,
tanzenden Wollkugel.
»Das ist mein Freund
Diego, ich habe dir von ihm erzählt, erinnerst du dich?«
Ich erinnere mich
nicht.
Diego gibt mir die
Hand. Ein Stück knochiges Fleisch, an dem ich mich verbrenne und das in meiner
Hand liegen bleibt. Es ist Pietros Hand. Es ist schon seine. Die Zeit
zerfleischt die Zeit, da ist ein Körper vor deinem, stark und jung, und doch übernimmt
in diesem Moment bereits ein anderer Körper seinen Platz. Schon ist ein Sohn im
Vater, ein Junge in einem Jungen.
Und dieser Sohn wird
die Erinnerung sein, das Kind, das mit der Flamme laufen wird.
Ich mache ihm Platz
auf der Bank, ein paar Zentimeter, in die er hineingleitet.
Wir lachen, weil wir
so eng zusammen sitzen. Wir unterhalten uns, worüber, weiß ich nicht. Er
spricht mit einem merkwürdigen Singsang, der mich ans Meer erinnert.
»Woher kommst du?«
»Aus Genua.«
Er hat nicht mal die
Mütze abgesetzt, er schwitzt. Ich sehe zu, wie ihm die Tropfen von der Stirn in
die Augen laufen.
»Du schwitzt.«
»Lass uns rausgehen.«
Und so gehen wir,
sofort zusammen, schieben uns durch das Gewühl der Tische, der schmutzigen
Gläser, der Bärenköpfe, der Leute, die vor den Toiletten drängeln. Gojko gibt
keinen Mucks von sich und hebt die Hand, starr wie die Kelle eines Polizisten, der
Halt gebietet. Später wird er sagen, dass ihm schon alles klar war, dass selbst
ein Blinder das gesehen hätte. Dass so ein Funkenflug einen armen Kater ganz
einfach niederstreckt, der auf der Lauer liegt und dabei seinen Schwanz
einbüßt.
Diego läuft in seiner
blauen Jacke neben mir, die aussieht wie von der Kriegsmarine. Er ist ein
Junge. Wie alt mag er sein?
»Ich reise morgen
früh ab, die Maschine wird so rappelvoll sein wie die auf dem Hinflug.« Er ist
wegen seiner Arbeit hier, sagt er.
»Was für eine
Arbeit?«
»Fotograf. War das
heiß da drin.« Er lächelt.
Dieses Lächeln ist
sanft.
Ich erzähle ihm von
meiner Masterarbeit, von Gojko, der sehr hilfsbereit war und der meine Liebe zu
dieser Stadt geweckt hat.
»Und was hast du hier
gemacht, statt schlafen zu gehen?«
»Ich habe auf das
Glockenläuten gewartet und auf den Gesang des Muezzins.«
Er sagt, wir könnten
ja zusammen warten und zum alten Bahnhof hochkraxeln, weil die Minarettspitzen
von dort oben aussähen wie in den Himmel gebohrte Lanzen.
Wir gehen weiter. Wie
viel sind wir in dieser Nacht gelaufen? Der Lastwagen der Männer von der
Straßenreinigung folgt uns ein Stück und hält an. Sie sammeln leere
Bierflaschen und vom Schneeregen schlaffes Papier auf, lange, schwarze Besen
rascheln über das Pflaster. Die Männer sind erschöpft, frieren, fegen unseren
Weg, fahren weiter und halten erneut. Das wäre gar nicht nötig gewesen, es wäre
auch mit dem Touristenmüll der Olympiade gegangen, wir hätten ihn nicht
bemerkt. Wir sind an dreckige Städte gewöhnt. Doch den Zauber dieser Hände, die
sich für uns abmühen, können wir nicht übersehen.
»Bist du im Auftrag
einer Zeitung hier?«
»Nein, als privater
Reporter.«
Er hat in Bjelašica, in Malo Polje, tagelang auf
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