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Das schönste Wort der Welt

Das schönste Wort der Welt

Titel: Das schönste Wort der Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: M Mazzantini
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Tapetenwechsel.
    Wir fahren mit dem
Motorrad, im schwülen Wind der Autobahn, des weichen Asphalts schmiege ich mich
an Diego. Das Haus riecht noch wie früher, als hätte die Zeit es als Geisel
gehalten. Es ist der Geruch meiner Großmutter, dessen, was sie kochte, und
ihres Schweißes nach einem langen Spaziergang zurück vom Meer. Der Geruch ihrer
Seufzer, ihrer Vorwürfe. Gegen wen? Gegen mich? Gegen die Fische?
    Mein Vater geht
frühmorgens mit dem Hund am Wasser spazieren, während die Bademeister den
Strand harken und die Sonnenschirme aufspannen.
    Das Meer ist
ekelhaft, platt und klebrig.
    Diego nimmt ein
sinnloses Bad.
    »Man sieht überhaupt
nichts«, sagt er.
    Wir verschwinden,
bevor die Beachtennisspieler kommen, die Radios und die Kokos-Sonnencremes.
    Auf der anderen Seite
des Meeres liegt jene zerrissene Küste. Die Inseln, zu denen man noch bis zum
vergangenen Sommer mit dem Motorboot oder mit dem Kreuzfahrtschiff gefahren
ist, wenn auch nur für einen Tag. An klaren Tagen sind die Umrisse jener von
den Badegästen verlassenen Felsen zu erkennen, die niemand mehr anschaut, ganz
als gehörten sie zu einem anderen Meer.
    Hier badet man, isst
Wassereis, kauft sich Bikinis und leichte Baumwollkleidchen, feilscht mit den
fliegenden Händlern, die wie Kamele bepackt sind, und ringt ihnen in der
Sommerhitze den günstigsten Preis ab.
    Hier erinnere ich
mich an mich, an mich in diesem flachen Wasser, das mir noch nie gefallen hat.
An den Tag, als mich der Stachel eines Petermännchens stach und mein Bein wie
gelähmt war und dieser Junge kam und mich mit Ammoniak verarztete. Es war das
erste Mal, das ich einen Mann ansah.
    Mein Vater sagt, ihm
sei klar geworden, dass er dieses Drecksnest gar nicht so schlecht finde. Auch
er war nicht einer Meinung mit meiner Mutter gewesen, mit diesem ruhelosen,
gedämpft vorwurfsvollen Körper. Doch wenn man es recht bedenkt, hatte auch sie
es nicht leicht, immerhin musste sie von Rom aus den Bus nehmen, um die
Bettwäsche der Mieter zu wechseln und sich wegen eines Schadens an der Wand oder
an der Badewanne herumzustreiten. Wir unterhalten uns eines Abends darüber, Diego
sitzt dabei und hört zu. Irgendwann bittet mich mein Vater um Verzeihung, weil
er mich all die Sommer hiergelassen hat.
    »Kinder darf man
nicht allein lassen und traurig machen. Hunde auch nicht, doch Kinder erst
recht nicht.«
    »Ihr habt beide
gearbeitet, Papa, ihr konntet gar nicht anders.«
    Er denkt nach.
    »Doch, es geht immer
auch anders«, sagt er.
    Seit dem Tod meiner
Mutter ist er ungnädiger mit sich selbst. Diego sieht ihn an. Ihm hat immer ein
Vater gefehlt, und heute Abend spüre ich, dass er hergekommen ist, um ihn zu
finden.
    Es geht uns gut an
diesem Abend, wir essen in der Küche, die Tür zu dem kleinen Balkon, auf den
kein Tisch passt, steht offen. Die Wohnung ist bescheiden, durch die dünnen
Wände hört man die Stimmen anderer Feriengäste und die eingeschalteten
Fernseher. Das Meer ist nicht zu sehen, nur Antennenkörbe. Mein Vater hat in Öl
gebackene Miesmuscheln mit Sauce gemacht.
    Das ist das erste
gute Abendessen seit langem, wir tunken Brot in die Muschelsauce. Machen noch
eine Flasche Bier auf. Mein Vater raucht und erzählt aus meiner Kindheit, aus
der Zeit, als ich ein unsympathisches kleines Mädchen war, viel zu introvertiert,
um irgendwem zu gefallen, so hatte er nur mich und ich nur ihn.
    Diego nutzt die
Gelegenheit und lässt sich erzählen, wie ich so war. Mein Vater steht auf und
äfft mich nach. Die Arme so, wie ich sie gehalten habe, immer verschränkt,
immer ein bisschen hochnäsig. Es deprimiert mich, daran zurückzudenken, wie ich
war.
    » Mutter Äbtissin hat ihre Großmutter sie genannt.« Er
lacht.
    Ich boxe ihn gegen
den Arm.
    Diego schaut uns an,
es ist ein sanfter Abend.
    Wir wissen noch
nicht, dass es der letzte Abend ist, den wir gemeinsam verbringen. Doch vielleicht
weiß das jemand weiter oben. Das Licht um uns her ist sonderbar, es ist Gott,
der einen Abschied beleuchtet.
    Dies ist das letzte
Abendmahl des jungen Apostels. Vom Baden im Meer hat er einen kleinen, nassen
Zopf. Er hat einen Joint im Mund, und mein Vater bittet ihn um einen Zug.
    »Papa, was soll denn
das?«
    Er zuckt mit den
Schultern: »Aber ja doch …«
    Mein Vater ging
kichernd schlafen, und wir gingen Eis essen. Es gab da eine in der Nacht
erleuchtete Strandbar, Gäste, die auf der runden Betonterrasse tanzten,
Mädchen, die schwarz wie Negerinnen waren, mit großen, weißen

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