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Das schönste Wort der Welt

Das schönste Wort der Welt

Titel: Das schönste Wort der Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: M Mazzantini
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Ohrringen und mit
Haarfransen über den Augen wie bei einem Schnauzer, dazu junge Kerle mit
gelackten Haaren und auffälligen, hautengen T-Shirts, vom Inland an die Küste
geschwappter Lokaltourismus.
    Später bat Diego
mich, mit ihm zu schlafen. Er schloss die Augen. Ich kannte dieses Betteln
eines blinden, gerade erst geborenen Hundes, der in der Dunkelheit nach einer
Zitze sucht. Wir waren unten am Strand wie zwei Halbwüchsige, hämmernde Discorhythmen
und die Stimmen aus der Strandbar schallten herüber.
    »Lass uns nach Hause
gehen.«
    Er zog mich über den
Sand zwischen die Liegestühle. Klemmte an mir wie ein Ruder an seiner Dolle und
begann in diesem nächtlichen Frieden zu kämpfen, als müsste er mich durch einen
Sturm in Sicherheit bringen.
    Am nächsten Morgen
wachte ich allein auf. Wir waren zum Schlafen in die Wohnung zurückgekommen,
das zerwühlte Bett war voller Sand. Ich dachte, Diego sei in die Bar gegangen,
wo es Croissants und einen Zeitungsstand gab. Er hatte immer Hunger, wenn er
aufstand, das Frühstück war die einzige Mahlzeit, die er brauchte. Eine Weile
glaubte ich, er sitze satt an einem dieser Plastiktische und lasse es sich in
der Sonne wohl sein.
    Ich ging einkaufen
und sah dann die offene Garage. Mein Vater räumte Regale auf und putzte mit
einem terpentingetränkten Lappen einen verrosteten Schraubenschlüssel.
    »Wo ist Diego?«
    In der Einkaufstüte
hatte ich eine halbe Wassermelone und Tomaten, ich ließ sie fallen. Und lehnte
mich gegen die Wand, sie war kalt.
    Mein Vater schaute
von seinem Schraubenschlüssel auf. Er machte ein paar Schritte auf mich zu.
»Verzeih.«
    Er spricht langsam,
wie damals mit seinen Schülern. Ich höre ihm in dieser unwirklichen Atmosphäre
zu, in dieser Garage, die wie ein Hangar aussieht. Er sagt, Diego sei nur
deshalb hergekommen, er sei nur hergekommen, um wegzugehen, weil Ancona nur
einen Katzensprung entfernt sei. Er habe versucht, ihn davon abzubringen, aber
… Er schüttelt den Kopf.
    Also ist er in einen
Militärladen gegangen und hat ihm eine kugelsichere Weste besorgt.
    »Eine von den guten«,
sagt er. »Mit Schutzplatten, so eine, wie sie sie in Nordirland tragen.«
    Er hat die glänzenden
Augen eines Wahnsinnigen. Ich sehe ihn an und denke, dass er übergeschnappt ist.
    Ich sehe diesen
armen, alten Mann vor mir, der die kugelsichere Weste anprobiert, sie betastet
und mit Faustschlägen bearbeitet, um zu testen, ob sie hält. Dann legt er sie
auf die knochigen Schultern des Sohnes, den er nie hatte, dieses Jungen, den er
liebt und den er hat gehen lassen, wie einen Sohn, der in den Krieg zieht.
    Er schlägt sich mit
den Fingerknöcheln gegen den Kopf.
    Hat jetzt dieses
unnütze Gesicht, verzweifelt und schuldbewusst. Als wollte er mich bitten, ihm
zu helfen.
    Im Hangar steht noch
mein Kinderfahrrad mit dem weißen Körbchen. Wir radelten immer zusammen unter
den Pinien entlang, ich vorneweg und er dicht hinter mir. Ich hasse mein ganzes
Leben … meine Kindheit und dieses fruchtlose Erwachsenenalter.
    »Hier, nimm.«
    Es ist ein zusammengefalteter
Zettel aus einem karierten Notizblock. Ohne Umschlag, als wäre Scham nun nicht
mehr nötig.
    Eine Zeile.
    Meine
Liebe, ich gehe. Diego.
    In Rom träumte ich
fast jede Nacht von seiner Reise. Von dem Motorrad, das sich auf den von
irregulären Milizen umlagerten Wegen vorwärtsschleppt. Ich sah sein Gesicht vor
mir, seine überanstrengten Augen, die in die Dunkelheit dieser nunmehr lichtlosen
Gegend spähten.
    Ich lebte vor dem
Fernseher. Sah den Brand der Nationalbibliothek mit an. Der Sprecher sagte Die Stadt ist in einen Ascheregen gehüllt . All die seit Jahrhunderten dort
gehüteten Bücher sind nun zu einem dichten Haufen schwarzer Flügel zusammengeschmolzen.
Ein erdfahler Schneefall an einem Tag im August hatte das Gedächtnis der
Menschen begraben. Das Symbol dieser offenen Stadt, von Kulturen, die wie
Wasser vermischt waren. Die Miljacka war schwarz von Ruß, in ihrem Bett floss
ein langes Trauerband. Ich dachte, dass nichts mehr bleiben würde. Mir fiel das
schmächtige Mädchen mit der Brille wieder ein, das immer die Bücher aus den
Regalen geholt hatte, sie trug sie in Stapeln von drei, höchstens vier Bänden
auf den Armen über den langen Flur. Sie ging vorsichtig, ehrfurchtsvoll und
darauf bedacht, sie nicht fallen zu lassen, so als trüge sie ein Kind, dann legte
sie sie zusammen mit den Nutzungsbestimmungen vor den Studenten ab und bat sie,
die Seiten langsam

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