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Das schönste Wort der Welt

Das schönste Wort der Welt

Titel: Das schönste Wort der Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: M Mazzantini
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sie mich fest. Sie werden
Tests mit dem Kind machen und feststellen, dass es nicht meines ist, dass die
Geburtsurkunde gefälscht ist, gekauft ist. Ich werde nicht weit kommen, nur
wenige Schritte in der Dunkelheit, und dann stehen bleiben, um im Freien an
einer Mauer zu sterben, das Baby versteckt wie ein Hund, wie ein toter Welpe.
Wo ist der Junge mit den langen Haaren? Wo ist meine Lieblingswaise? Wo ist der
Kindsvater? Nur er kann mich retten, das Baby hat seine Gene. Er war mein Passierschein,
doch er ist nicht mitgekommen. Er hat seinen Pass im Schnee verloren. Hat
gelogen. Mir ist kalt, mein Rücken ist nackt. Der Anorak ist heruntergefallen,
ich hatte ihn nur über die Schultern geworfen, um schnellstmöglich aus dem
Waschraum zu verschwinden, um von diesem Mann in Uniform wegzukommen, der mich
gewiss verfolgt, weil er gemerkt hat, dass da was nicht stimmt. Eine Mutter
legt ihr Kind nicht einfach in ein Waschbecken, um sich am Becken nebenan das
Gesicht zu waschen, sich im Spiegel anzuschauen und zu weinen.
    Ich setze mich auf
eine Bank. Das Baby lege ich neben mich, langsam ziehe ich mich an, das
T-Shirt, den Anorak.
    Ein junger Mann, kaum
älter als zwanzig, kommt auf mich zu, er hat Ähnlichkeit mit Sandro, einem
Freund von mir aus dem Gymnasium. Er hat die gleichen fleischigen, zu roten Lippen,
die gleichen haselnussrunden Augen wie er. Wer ist das? Was will er? Warum
verlässt Sandro seine Schulbank, auf die er geschrieben hatte ES LEBE CHE und ES LEBE DIE MÖSE , und kommt nun auf mich zu?
    »Entschuldigen Sie,
Signora, wohin wollen Sie?«
    Er schaut mich an,
leicht über mich gebeugt. Das ist nicht Sandro, er hat eine Stimme aus dem
Süden und die Uniform eines einfachen Carabiniere.
    »Ich weiß nicht.«
    Er weist mit dem Arm
auf die Gestalt an der Tür, auf den Mann aus dem Waschraum, reglos auf der
Schwelle.
    »Der Capitano will
wissen, ob er Sie irgendwo hinbringen soll.«
    »Ins Gefängnis?«
    Der junge Mann lacht
und lässt Zähne sehen, die für die großen Lippen viel zu klein sind, mein Witz
gefällt ihm.
    »Ich fahre den
Capitano nach Rom, zum Celio.«
    Wir gehen zusammen zu
dem schwarzen, leistungsstarken Wagen mit der Aufschrift CARABINIERI und dem roten Streifen der Truppe an
den Seiten. Drinnen herrscht ein Frieden, der seinesgleichen sucht, die Sitze
haben den angenehmen Geruch neuen Leders. Der dunkle, duftende Raum dieser
starken Limousine nimmt mich auf wie ein Löffel und bringt mich nach Hause, auf
einer Asphaltstraße ohne Schlaglöcher und ohne Barrikaden, glatt wie ein
Satinband. Eine Weile komme ich mir vor wie ein harmloses Tier, wie ein
angefahrenes Reh, das ein gutmütiger Autofahrer in eine Tierklinik bringt. Der
falsche Sandro sitzt mit der Mütze auf dem Kopf am Steuer. Der Capitano sitzt
barhäuptig neben ihm und liest unter dem Autolämpchen Zeitung.
    Bevor er mich
einsteigen ließ, sagte er: »Wir brauchen einen Kindersitz für Ihr Baby, so eine
Babyschale, wir können es nicht so transportieren.«
    Ich lächelte
stumpfsinnig und lahm.
    »Da haben Sie recht.«
Ich wartete. »Und was jetzt?«
    Da sagte er: »Was
soll’s, steigen Sie ein.«
    In mir prasselte ein
hartes, irrsinniges Gelächter, randvoll mit schwarzem Humor wie die Witze der
Leute in Sarajevo. Dieses Kind ist eine prähistorische Krabbe, es ist einem
Krieg entronnen, aber kaum landet es auf diesen lieblichen Straßen, braucht es
eine Babyschale, um zu überleben! Wie idiotisch das Leben in Zeiten des
Friedens doch ist.
    Dem Capitano hat mein
Blick offenbar nicht gefallen, er spürte etwas, den Ausklang dieses hässlichen
Gelächters. Er hat das Licht angeknipst, die Mütze mit der goldenen Flamme auf
das Armaturenbrett gelegt und zu lesen begonnen. Vielleicht hat er bereut, dass
er so großzügig war. Vielleicht sticht ihm nun, auf diesem engen Raum, mein
Geruch in die Nase, er dürfte dem der Zigeunerinnen ähneln, die er manchmal
festnimmt und die im Auto herumschreien und mit Unglück um sich werfen.
    Ich betrachte die
Freiheit. Die Industrieblocks am Stadtrand, die Reihenhäuser mit den tadellosen
Dächern, die Straßenschilder ohne Einschusslöcher.
    Da regt sich das Baby
an mir, es bewegt sich wie eine Krabbe. Wie viel Scheren hat es? Wie viel
Nerven?
    Ich versuche, ihm
erneut meinen kleinen Finger in den Mund zu stecken, doch diesmal klappt es
nicht. Der Capitano dreht sich um.
    »Vielleicht hat es
Hunger.«
    Wir halten an einer
Raststätte, der Wagen fährt unter das Dach des Parkplatzes. Der

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