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Das schönste Wort der Welt

Das schönste Wort der Welt

Titel: Das schönste Wort der Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: M Mazzantini
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falsche Sandro
bleibt als Wache zurück, der Capitano steigt mit mir aus, wir gehen in der
Dunkelheit in die Raststätte. Ich suche die Toiletten. Dort ist ein
Wickeltisch, eine weiße Kunststoffplatte, die an der Wand hängt. Ich lege das
Bündel ab, krame in meinem Rucksack nach der Watte und dem Verbandmull aus dem
Krankenhaus, schlage die Decke zurück und suche die Knöpfe des Strampelanzugs,
dessen Wolle steif wie Pappkarton ist. Ich ziehe die Beinchen des Babys hervor.
Noch nie habe ich etwas so Kleines gesehen. Ich öffne die Windel, die Watte ist
klatschnass und die Exkremente sind gelb, so als hätte es Safran getrunken,
doch sie riechen nicht unangenehm. So sehe ich den Körper des Babys in meinen
Händen zum ersten Mal ganz aus der Nähe. Es hat den aufgeblähten Bauch eines
Huhns. Es schreit, zieht die Beine an und hält sie wie Pfoten dicht am Körper.
Ich atme durch. Falls ich es nicht schaffe, die Windeln zu wechseln, schlage
ich es eben wieder in die Decke ein und damit basta. Der Verband am Bauchnabel
hat sich gelöst, und da ist dieses schwarze, lose Stück Schnur. Ich beuge mich
hinunter, um festzustellen, ob es stinkt, doch es riecht immer noch nach
Alkohol. Ich darf nicht nachdenken, muss meine Hände bewegen. Ich drehe den
Wasserhahn auf, feuchte einen Wattebausch an und wische es damit zwischen den
Beinen ab. Die übrige Watte wickle ich in den Verbandmull, den ich mit den
Zähnen abreiße. Das Baby schreit immer noch, ich muss ihm Milch anrühren, muss
es füttern. Ich bücke mich und hebe den heruntergefallenen Strampelanzug auf.
Da höre ich ein Knacken, ich habe mich mit dem Rucksack über meiner Schulter zu
hastig bewegt. Ich mache ihn auf, und es ist, wie ich vermutet habe, Glas aus
Sarajevo, Glas ohne Zukunft!
    Ich werfe die
Scherben des Fläschchens in den Abfalleimer. Von draußen klopft es.
    »Brauchen Sie Hilfe?«
    Ich nehme das Bündel
wieder auf und öffne die Tür, davor steht der Capitano mit seinen spärlichen
Haaren.
    »Ich habe das
Fläschchen zerbrochen.«
    Wir verlassen die
Autobahn, um eine Nachtapotheke zu suchen.
    Der Capitano hat die
Sache der hungrigen Krabbe nun zu seiner Herzensangelegenheit gemacht, nicht
zuletzt deshalb, weil sich Pietros Stimme in die Ohren hineinhackt und so
zermürbend ist wie eine Alarmsirene.
    »Fahr runter«, sagte
er zu dem Offiziersburschen. »Wir müssen ein Fläschchen und einen Sauger
besorgen.«
    Der falsche Sandro
tat keinen Mucks, schaltete den Blinker ein und steuerte ins Dunkel. Was ist
das für eine Abfahrt? Hier gibt es kein einziges Haus, nur Felder.
    Der Capitano hat die
Zeitung weggelegt, er scheint nicht verärgert zu sein. Er dreht sich zu mir um
und schaut mich länger an als nötig.
    Ich lächle ihn an,
mit den aufgerissenen Augen eines gefangenen Rehs.
    »Haben Sie keine
Milch?«
    Ich zeige auf den
Rucksack. »Doch, ein bisschen habe ich, eine halbe Packung.«
    Er dreht sich nicht
zurück, bleibt mit dem Kopf, mit den Augen bei mir.
    »In der Brust, meine
ich. Haben Sie keine eigene Milch?«
    Unwillkürlich
verdecke ich meine leere Brust mit dem Bündel, ich presse es an mich, an meine
Knochen.
    »Nein, ich habe keine
Milch.«
    »Schade.« Er schaut
wieder auf die Straße. »Das wäre einfacher.«
    Die Apotheke finden
wir dann in einem Dorf, einem von denen, die von der Fernstraße zerschnitten
werden. Doch das Kreuz ist nicht erleuchtet. In einer Bar spielen einige Männer
Karten, der Capitano geht zu ihnen und erkundigt sich. Man eskortiert ihn zur
Sprechanlage des Apothekers, der zieht sich an und kommt herunter. Er ist ein
dünner Hänfling mit gefärbten Haaren, wahrscheinlich ein kleiner Provinzlebemann.
Wir gehen zu den dunklen Regalen, die plötzlich hell werden, um die Uniform
hereinzulassen, die Mütze mit der Flamme. Der Capitano empfiehlt mir ein
Kunststofffläschchen.
    »Das ist vielleicht
besser.« Er lächelt.
    Der Apotheker fragt,
was für Milch ich haben möchte.
    »Eine für Säuglinge.«
    »Und welche Sorte?«
    Ich schaue den
Capitano an, schaue in die Runde, schaue den Apotheker an.
    »Was Sie dahaben.
Eine gute.«
    Der Capitano macht
einen Schritt auf den Ladentisch zu.
    »Zeigen Sie mal her.«
    Der Apotheker stapelt
Dosen auf den Ladentisch. Der Capitano setzt sich eine Brille auf, weil die
Schrift mikroskopisch klein ist, und liest.
    »Wir nehmen die hier,
die ist nicht allergen.«
    Er sucht mich: »Was
denkst du?«
    Ich denke, dass er
mich geduzt hat. Ich nicke.
    »Ja, gut.«
    Ich habe keine

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