Das schönste Wort der Welt
müde
Lira in der Tasche. »Ich habe meine Brieftasche verloren«, flüstere ich und
lege auch die Windeln wieder zurück, die ich schon genommen habe. Vielleicht
kackt die Krabbe ja nicht noch mehr Safran, bevor wir in Rom ankommen.
Der Capitano greift
nach den Windeln und legt sie zu allem anderen auf den Ladentisch. Er schaut
den Apotheker an, ihn und seine gefärbten Haare wie die eines alternden
Schlagersängers.
»Haben Sie nicht so
ein Dings?«
Der Apotheker sieht
ihn abwartend an.
»So ein Dings, das
Krach macht … eine Klapper.«
Es ist nicht direkt
eine Klapper, es ist ein Plastikspielzeug mit Musik. Als er ins Auto steigt,
sagt er: »Entschuldigen Sie, dass ich so frei war.«
Und kehrt zum Sie
zurück. Vielleicht wollte er so tun, als wäre ich jemand aus der Familie, seine
Schwester oder seine Frau.
Er packt das
Spielzeug aus und hat Mühe, es aus der Folie zu reißen, dann wedelt er vor dem
hochroten Gesicht des permanent schreienden Babys damit herum. Vielleicht kann
es die Spieluhrmelodie gar nicht hören. Es ist hartgesotten, an Bomben gewöhnt.
Der Capitano seufzt: »Man merkt, dass ich keine Kinder habe, stimmt’s?«
Wir haben noch einmal
angehalten, an einer anderen Raststätte. Rote Kunststoffbänke und in die Wand
eingelassene Tische wie in einem Fastfood-Restaurant, dazu Lampenschirme mit
Fransen.
»Haben Sie Hunger?«
»Danke, später.«
Er beißt große Happen
von seiner Piadina primavera ab, wendet sich mir zu und nuschelt.
»Wie warm soll das
Wasser sein?«
»Ein bisschen.«
Er nickt und sieht zum
Barmann hinüber: »Ein bisschen.«
Wenn da nur nicht
diese störende Uniform wäre … Der Barmann denkt kurz nach, sagt dann aber, was
er zu sagen hat: »Hören Sie, das Wasser muss erst abgekocht werden, dann kühlt
man es wieder ab.«
Der Capitano geht zum
Tresen, er verhört den Barmann.
»Was verstehst du
denn davon?«
»Ich habe ein kleines
Kind.«
»Entschuldige, aber
wie alt bist du?«
»Zwanzig.«
»Na, da hast du dich
ja beeilt.«
»Meine Freundin hat
sich beeilt.«
Der Capitano lacht
zusammen mit dem Barmann. Er zeigt auf die Stahltülle der Kaffeemaschine. »Mach
weiter.«
Er kommt mit dem
Wasser und zwei vollen Tellern an unseren Tisch zurück. Er hat Hände, die
zugreifen können, das gehört zu den ersten Dingen, die mir an ihm auffallen,
wohlgeformte Hände, die ich für ungeschickt gehalten habe, die jedoch einen Haufen
Dinge gleichzeitig tragen können, ohne dass etwas herunterfällt, in einem
ruhigen Gleichgewicht. Seine Füße sind platt, mit guter Bodenhaftung, wie die
Füße eines professionellen Kellners. In dieser zweiten Raststätte sehe ich ihn
zum ersten Mal richtig an, er ist mir sympathisch und scheint ein anständiger
Mann zu sein. Plötzlich habe ich Sehnsucht nach meinem Vater.
Giuliano stellt alles
auf den Tisch und schiebt mir das Fläschchen zu.
»Das Wasser muss erst
gekocht und dann abgekühlt werden, wussten Sie das?«
»Nein.«
Er lacht und schaut
mich forschend an.
Vielleicht ahnt er,
dass ich ihm etwas verheimliche. Das ist mir egal, ich lehne mich gegen das
Rückenpolster der Bank. Er setzt sich wieder die Brille auf. Liest auf der
Milchpackung nach, wie viel Messlöffel man nehmen soll. Fragt, ob es zu viel
Wasser ist. Jetzt wartet er auf eine Antwort und mustert mich über die Brille
hinweg, die ihm auf die Nasenspitze gerutscht ist.
Ich antworte nicht.
Irgendwann wird er mir erzählen, er habe damals bereits begriffen, dass ich
nicht die leibliche Mutter sein konnte. Ich hätte vor dieser Milchpulverdose so
verloren gewirkt.
»Es wird so lange
trinken, wie es Hunger hat«, sagt er.
Ich weiß nicht
einmal, ob ich dem Baby den Sauger nicht zu tief in den Hals stecke. Es umfängt
ihn mit dem ganzen Mund, trinkt atemlos und sieht mir dabei in die Augen. Das
hat etwas von der Bewegung einer Qualle im Wasser. Dann wird sein Blick weich.
Langsam schließt es die Lider, der Mund entspannt sich, es ächzt ein wenig, und
es schläft ein. Offenbar hat es sich ziemlich angestrengt, es hat geschwitzt in
seinem Wollstrampler aus Sarajevo.
Der Capitano ist
aufgestanden, hat eine Flasche Wasser mit Kohlensäure geholt und füllt zwei
Gläser.
»Es muss ein
Bäuerchen machen.«
Dabei gibt er mir das
Glas mit dem Sprudelwasser.
»Das weiß ich noch
von meinen Neffen.«
Als die Kinder seiner
Schwester Säuglinge waren, erzählt er mir, habe sie ihm nach dem Stillen die
Kleinen gegeben, und er musste ihnen sanft auf den Rücken
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