Das schönste Wort der Welt
Kasse, kauft eine Schachtel Pralinen und fragt, ob ich eine möchte. Er
öffnet die Packung geschickt mit einer Hand, die andere liegt fest auf dem
Baby, das ungestört weiterschläft.
Er sagt, er
interessiere sich auch für Fotografie, er versuche sich zum Spaß darin. Fragt
mich, ob ich ihm ein paar von Diegos Bildern zeigen könne.
Ich sage ihm, dass
ich überhaupt nichts bei mir habe, außer dem Baby.
»Ich konnte nicht
mehr ins Hotel zurück.«
»Und Ihr Mann?«
»Er hat seinen Pass
verloren.«
Er gibt mir seine
Visitenkarte: »Für alle Fälle.«
Die Stadt sickert aus
der Dunkelheit in diesen ruhigen Wintertag. Die Ladenschilder, die Palazzi mit
ihren Fensterläden, wo sie hingehören. Es ist fünf Uhr morgens. Leben, die sich
schon bald aus dem Bett wälzen werden, die in die Senkrechte zurückkehren und
die Straßen verstopfen werden. Dann geht die dumme Hetzerei des Friedens wieder
los. Ein Lastwagen der Stadtreinigung stiehlt uns einige Zeit. Wir halten an. Ich
sehe dem Metallarm zu, der die Container einklemmt, sie hochhebt und auskippt.
Wieder überkommt mich das Gefühl, alles verloren zu haben.
Vor meinem Haus
steigt der Capitano aus, um mir mit dem Baby zu helfen. Er hat den Mund
aufgemacht, wie um etwas zu sagen, hat jedoch nichts gesagt. Er hat abgewinkt
und sich seine Uniformmütze aufgesetzt. Womöglich war diese Fahrt nur dazu da,
mich im Auge zu behalten, und seine Freundlichkeit vorgetäuscht. Er hat den
Blick eines Jagdhunds, derer, die scheinbar ziellos durch die Gegend streifen,
dann aber mit der Beute im Maul zurückkommen. Er hat gemerkt, dass etwas nicht
stimmt, vielleicht hat er gedacht, ich hätte das Kind entführt. Er hat sich
umgedreht, um mir das zu sagen, hat es sich dann aber anders überlegt.
Irgendwann wird er
mir sagen, dass er die ganze Fahrt über zwischen seiner Uniform und dem Wunsch
schwankte, mir zu vertrauen. Irgendwann wird er mir sagen Das Gesetz kann mal kurz aus dem Haus gehen,
die Liebe muss man lassen, wo sie ist .
Die Tür öffnet sich zur Stille
Die Tür öffnet sich
zur Stille, zum Teppich im Flur. Die Fensterläden sind geschlossen, es herrscht
ein abgestandener Geruch, die Heizkörper sind lauwarm. Ich habe kein Gepäck,
das ich auspacken könnte, habe nur das Baby. An der Garderobe hängt Diegos
Jackett, das aus Cord mit den Flicken, und eine seiner Krawatten, die für
festliche Anlässe, dünn und rot. Ein Blutfaden.
Ohne mich zu bücken,
ziehe ich die Stiefel mit dem Schmutz Sarajevos aus, mit seinem Schlamm, ich
drücke nur mit den Füßen gegen die Fersen. Das Baby habe ich noch nicht
abgelegt. Eine Rückkehr nach Hause aus der Entbindungsklinik sieht anders aus.
Ich weiß nicht, wohin mit ihm, da ist kein Kinderzimmer, das für es
bereitsteht, da ist keine Wiege und auch kein Wickeltisch. Da ist das Klavier
seines Vaters, und das weiße Sofa, das eine Reinigung vertragen könnte. Der
Geruch einer Wohnung, die stillstand, eingefroren in der Stille eines früheren
Lebens.
Ich gehe an den Füßen
vorbei, die auf die U-Bahn warten, und mir fällt ein, dass Diego diese Fotos
nicht mehr leiden konnte, dass er sie von der Wand nehmen wollte. Ich öffne das
Fenster im Schlafzimmer einen Spalt, um etwas Luft hereinzulassen. Ich lege das
Baby neben mich auf den Bettüberwurf, nehme es nicht einmal aus seiner Decke
und ziehe mir auch nicht den Anorak aus. So, wie ich bin, schlafe ich neben ihm
ein, verschiebe alles auf später und wühle mich in den Schlaf wie ein Maulwurf
in die Erde, in einen dunklen Gang ohne Träume.
Als ich die Augen
aufschlage, kann ich mich kaum bewegen, ich bin vor Schmerzen wie zerschlagen,
spüre sie in den Knochen, die versuchen aufzuwachen. Vielleicht hat mein Körper
die Abwehr aufgegeben, als er sich entspannt hat. Durch die Fensterläden dringt
Licht, das Baby ist wach. Es schreit nicht und schaut mit diesen Augen, die
noch nicht sehen können, zur Decke.
Beim Duschen ließ ich
die Tür offen. Aus Angst, das Wasserrauschen könnte das Schreien des Babys
übertönen, drehte ich den Hahn immer wieder zu. Der Schmutz verschwand, glitt
fort in den Abfluss. Ich rief meinen Vater an. Ich war wieder in meinem
Bademantel.
»Hallo …« Es war das
kratzige Flüstern eines Greises, aus einem vor Stille stagnierenden Mund.
»Ich bin’s, Papa.«
Er schrie meinen
Namen zweimal, und er schien aus einem Abgrund zu schreien.
Ich sagte ihm nichts
von dem Baby, sagte nur, ich sei zurück und hätte gerade geduscht.
Ich ging in
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