Das schönste Wort der Welt
sehe
gar nicht, dass ich ein Kind bekommen habe, ich sei begnadet mit meinem
geschmeidigen Körper.
Später im Auto regt
sich mein Vater auf, in einer Tour schaut er in den Rückspiegel, ich denke,
dass er langsam ein bisschen verkalkt, er schimpft auf die blöde Barfrau.
»Die spart beim
Cappuccino, geizt mit der Milch.«
Er dreht sich zur
Rückbank um und schaut nach der Tragetasche. Er knurrt wie ein Wachhund. Jetzt
ist er es, der Angst hat, jemand könnte uns die Krabbe wegnehmen. Ich habe nur
Angst, das alles nicht zu schaffen.
Im Laufe der Tage
gewöhnt sich das Baby an mich, und ich gewöhne mich an das Baby. Ich kann nun
seine Stimme deuten. Ich weiß, wann es nur schreit, um auf den Arm genommen zu
werden, und wann es vor Hunger schreit oder weil es Verdauungsprobleme hat.
Alle meine T-Shirts haben Flecken von geronnener Milch an der Schulter, dort,
wo es mit seinem Schnäuzchen aufliegt.
Ich trage es in der
Wohnung herum und habe nicht mehr so große Angst, ihm wehzutun. Vor Diegos
Fotos bleibe ich stehen. Ich erzähle dem Baby von seinem Vater. Lüge es an,
sage Wenn
Papa zurückkommt, machen wir dies und machen wir das .
Das Stück Nabelschnur
ist abgefallen. Ich habe daran gerochen, habe dann das Klavier aufgeklappt und
es auf die Tasten gelegt.
Mit den praktischen
Dingen werde ich inzwischen fertig, ich kann das Baby waschen, wickeln und
füttern. Mit allem anderen tappe ich im Ungewissen. Ich hänge in der Luft und
warte auf eine Nachricht, selbst meine Handgriffe sind ungewiss. Ich erledige
zwar alles, doch ohne bei der Sache zu sein. Wie ein gut funktionierendes
Kindermädchen, so als hätte man mir das Baby geliehen und ich müsste es nur gut
pflegen und später zurückgeben. Ich sollte es jetzt bereits lieben, das wäre
wohl normal. Doch all meine Liebe scheint in Sarajevo gestorben zu sein, in diesen
Gängen aus dreckigem Schnee.
Wenn ich nachts
aufwache, weiß ich nicht, wie ich aus dem schweren Schlaf herausfinden soll, um
mich um das Baby zu kümmern. Ich stehe auf, um ihm Milch zu kochen, verbrenne mir
die Finger und verkleckere die Küche. Immer hat es Hunger, dieses Kind aus
Sarajevo, den Hunger seiner elenden Herkunft.
Doch ja, es riecht
gut, ich sauge seinen Duft ein. Es ist noch Himmel und doch schon See. Aber was
soll ich damit anfangen? Dieser viel zu gute Geruch tut mir weh. Er dringt in
mich ein wie ein Schmerz, weil er vielleicht der Duft des Vaters bei dessen
Geburt ist und er ihn wiedererkennen sollte.
Ich pflege das Baby
ohne rechte Liebe, als wäre es ein Auto, ich fülle Kraftstoff ein, halte es
sauber und parke es in der Wiege. Wenn ich nach ihm schaue, während es schläft,
dann nur, um seinen Vater zu suchen, um zu sehen, ob es ihm ähnelt. Nur wenn
Diego zurückkommt, wird dieses Kind wirklich meines sein, nur wenn es unseres
sein wird.
Im Schlaf sehe ich
ihn. Diego hat das Kleine im Tragetuch, mit einer Hand stützt er das Köpfchen,
mit der anderen hält er mich. Wir gehen unten am Fluss spazieren, wir haben
unseren Frieden gefunden. In meinem Traum ist dieser Frieden greifbar, wir
bekämpfen uns nicht mehr und auch die Dinge um uns her nicht. Das Schicksal
meint es gut mit uns, ganz als würde es uns brauchen. Und zum ersten Mal fühlen
wir es, zum ersten Mal fühlen wir uns nützlich im großen Strom. Wir erkennen,
dass genau das der Frieden ist, die Richtung dieser Bewegung, das Vorankommen
in der Welt, ohne sich zu entziehen, wie Wasser, das sich selbst transportiert,
mitgezogen vom Zurücklegen des eigenen Weges. Wir gehen zu unserem Boot, das an
seinem üblichen Platz liegt und auf uns wartet. Neugierig, wie unsere
Geschichte wohl ausgeht. Diego sagt zu mir Danke für das Kind , denn erst jetzt weiß er, was das
ist. Und erst jetzt weiß er, dass er gerettet ist.
Mein Leben lang werde
ich denken, dass Diego es vielleicht geschafft hätte zu leben, wenn er das Baby
eine einzige Nacht behalten hätte, wenn er es bei sich in seinem Atem behalten
hätte.
Er ruft nicht an, und
ich sitze nicht wartend am Telefon. Tagsüber verschwinden die Träume. Was
bleibt, sind die Fotos, die Pfützen, die Füße, die fanatischen Gesichter der
Ultras.
Dann meldet er sich
doch, und seine Stimme ist himmelweit von dem Frieden aus meinem Traum
entfernt, attackiert vom Schmerz des Lebens.
»Was war denn los?
Warum kommst du nicht nach? Was ist mit deinem Pass?«
Er scheint nicht zu
wissen, wovon ich rede.
»Ach so, der Pass.
Den habe ich wiedergefunden, ja.«
»Wo war er
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