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Das schönste Wort der Welt

Das schönste Wort der Welt

Titel: Das schönste Wort der Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: M Mazzantini
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der
sich über mich als Neugeborenes beugt und mich kleiner Schatz nennt.
    Er fragt sich nichts
mehr.
    Egal, woher dieses
Kind stammen mag, jetzt liegt es hier auf dem Bett, trägt diesen groben
Strampelanzug aus harter, schmutziger Wolle. Mein Vater geht raus, in unserer
Straße gibt es ein Geschäft für Kinderbekleidung. Er kommt zurück und hat die
glänzenden Augen seines Hundes.
    »Ich habe Größe null
genommen.«
    Wir reißen die Folie
ab, das Etikett, und ziehen dem Baby aus Sarajevo diese funkelnagelneue Größe
null an. Nun ist es ein in Sankt Gallener Spitze und feine Wolle gekleideter
Prinz, und verschwunden ist der Gestank nach Stall, nach Tod.
    Mein Vater lässt mich
nicht mehr allein. Morgens ist er offenbar schon lange da, bevor er bei mir
klingelt. Er dreht noch eine Runde auf dem Markt und führt den Hund vor meinem
Haus aus. Die Wahrheit ist, dass er sich einfach nicht losreißen kann.
Vielleicht liegt er nachts wach und träumt von dem Baby. Er hat ein rosiges,
neues Gesicht. Seine Haut scheint sich verjüngt zu haben, seine Augen sind
Sicheln aus reinstem Wasser. Als er klopft, hechelt er wie ein Hund, der Angst
hat, weggejagt zu werden.
    »Störe ich?«
    »Komm rein, Papa.«
    Er bringt Obst, die
Zeitung und Brot, denn ich lebe so verbarrikadiert in der Wohnung wie während
der Belagerung.
    Stets trifft er mich
im Bademantel an und müde von diesen Nächten, von den Babyfläschchen, die mir
den Schlaf zerreißen, der dann nicht wiederkommt, stattdessen kommt das blaue
Kind, kommt Diego, kommen die Warteschlangen unter Beschuss der Heckenschützen.
Nachts verschärft sich alles, wenn das Baby schreit, verliere ich sofort den
Mut, ich habe Angst, dass es Entzugserscheinungen hat wie die Kinder von Junkies.
Habe Angst, dass seine Nerven zerreißen wie meine, verzögert, erst in dieser
Stille. Ich presse es an mich, bitte es um Hilfe. Ich wiege es geistesabwesend,
gehe vor den Füßen, die auf die U-Bahn warten, auf und ab, bleibe am Fenster
stehen, weiche zurück, lasse dieses Bündel allein in seinem Bettchen, soll es
doch schreien. Ich schließe mich im Bad ein, wippe auf dem Rand der Badewanne vor
und zurück. Ich sehe gelblich aus und bin mit meiner Hoffnung am Ende, wie eine
Frau, die eine schlimme Entbindung hinter sich hat und auf einen einsamen
Abgrund zuschlittert.
    Mit dem Tag kehrt die
Ruhe zurück.
    Mein Vater blättert
in einem Buch über die ersten Lebensmonate. Er sagt, das verzweifelte Schreien,
das mit den angezogenen Pfoten, käme von Blähungen, weil Pietro zu schnell trinke.
Jetzt legt er ihn nach dem Füttern auf den Bauch, massiert ihn, beruhigt ihn.
    In nur einer Woche
ist Armando versierter geworden als eine venetische Amme. Er riecht nach Milch,
nach ausgespuckter Milch, nach Mandelöl. Wenn er nicht bei mir ist, ist er in
der Apotheke, er setzt sich die Brille auf und studiert die Regale mit den Säuglingsartikeln.
Er berät sich mit den jungen Mädchen, die weiße Kittel und ein kleines,
goldenes Kreuz tragen, er hat sich mit allen angefreundet und spricht sie mit
Namen an. Er plaudert über Kacke, Schluckauf und Hautrötungen. Mit den schmachtenden
Augen eines Verliebten beim ersten Herzklopfen. Er hat schlichtweg den Verstand
verloren.
    Pane ist so
deprimiert wie ich, die Zunge hängt ihm schlaff aus dem Maul, und er ist so
eifersüchtig wie ein älteres, vernachlässigtes Geschwisterkind.
    Wir gehen zum ersten
Mal aus, mit Pietro zum Kinderarzt.
    Mein Vater hat das
Auto geholt und es auf dem Gehweg vor der Haustür geparkt, ihm ist es
schnurzegal, ob er einen Strafzettel einfängt, Seine Hoheit, die Zukunft der
Menschheit, muss eskortiert werden. Ich trage eine Sonnenbrille und einen
schwarzen Mantel, ich bin dünn und blass, wie eine traurige Prinzessin, die
Mutter des Thronfolgers. Es ist kalt, und mein Vater hat ein dünnes Tuch über
die Babytragetasche gebreitet, sie kommen am Hauswart, an einem Nachbarn und an
der Frau aus der Bar vorbei.
    Mein Vater lässt
nicht mit sich reden, nur für wenige Sekunden schiebt er das Tuch beiseite.
    Die Frau aus der Bar
lächelt mich an.
    »Signora, ich wusste
ja gar nicht, dass Sie schwanger waren.«
    »Mein Schwiegersohn
ist Fotograf, die beiden reisen quer durch die Weltgeschichte. Sie sind nicht
solche Nesthocker wie Sie und ich, so sind die jungen Leute von heute. Sie
machen Kinder, wie es gerade kommt, da kennen sie nichts.«
    Die Frau aus der Bar
gratuliert mir. Ihr Blick gleitet zu meinem Bauch hinunter. Sie sagt, man

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