Das schönste Wort der Welt
die
Küche, kochte etwas Wasser ab und goss es ins Fläschchen. Das war kein Problem,
weil das Baby sich kaum bewegen konnte, ich hatte es beobachtet. Jetzt schrie
es, und hastig zählte ich die Messlöffel mit dem Milchpulver ab. Es war der
erste Tag, an dem wir beide allein waren.
»Bist du verletzt?«
»Ich bin wohlauf, das
siehst du doch.«
Er drückt mich mit
Händen an sich, die ich nicht kenne.
»Wie viel Kilo hast
du abgenommen?«
Auch er hat
abgenommen, er ist nur Haut und Knochen. Es ist lange her, seit ich ihn das
letzte Mal angerufen habe.
»So was macht man
einfach nicht.«
»Verzeihung, Papa.«
Er steht reglos in
der Tür, es fällt ihm schwer hereinzukommen.
»Nein, das verzeihe
ich euch nicht.«
Er sagt, so behandle
man seinen Vater nicht, so behandle man nicht mal einen Hund. Das habe er mir
nicht beigebracht.
»Ihr beide denkt nur
an euch. Du und dieser Kerl da.«
Pane steht neben ihm,
er winselt zur Begrüßung und weil er in die Wohnung kommen und herumschnüffeln
will.
»Dieser Kerl da ist
nicht zurückgekommen, Papa.«
Plötzlich sind seine
Augen dunkle Trauben, sein Kehlkopf bewegt sich auf und ab. Er schaut sich im
düsteren Dickicht des Treppenabsatzes um, als suchte er einen Schatten.
»Was soll das heißen, er ist
nicht zurückgekommen ?«
»Er ist dageblieben.«
Er lässt die Leine
fallen, was Pane ausnutzt, um endlich hereinzuschlüpfen.
»Was soll das heißen, er ist
dageblieben? «
Er kommt zusammen mit
dem Hund herein, um ihn zurückzurufen, kommt herein, weil draußen kein Schatten
zu finden ist, der Junge hat keine Spur hinterlassen. Er kommt herein und
streift das Jackett mit den Flicken und die dünne, rote Krawatte, seine Augen
schweifen in der Stille umher.
»Pane, hierher … Pane …«
Doch Pane läuft weg,
ins Schlafzimmer.
»Vorsicht!«, schreie
ich.
Mein Vater läuft dem
Hund nach und dreht sich zu mir um.
»Was hast du denn?«
»Da ist …«
Ich sage nichts,
lasse ihn allein nachsehen. Wir stehen an der Tür zum Schlafzimmer. Der Hund
hat seine Schnauze auf den Bettüberwurf gelegt und schnüffelt an der Kacke des
Babys, an der schmutzigen Windel, die ich dort liegen lassen habe. Mein Vater
flüstert runter,
runter mit der Schnauze . Er sieht Pietro auf dem Bett. Geht nicht zu ihm, sagt kein Wort.
Dann stellt er die gleiche Frage wie der Capitano im Klo des Militärflughafens.
»Wessen ist das?«
»Es ist unseres,
Papa.«
Er macht einen
Schritt auf das Bett zu und beugt sich vor.
»Ist das ein
richtiges Kind?«
»Natürlich ist das
ein richtiges Kind.«
Er wühlt in seiner
Jacke und setzt sich die Brille auf. Er studiert den Atem des Babys mit der
gleichen Aufmerksamkeit, mit der er die Hausaufgaben seiner Schüler durchsah.
»Wie alt ist es
denn?«
»Noch gar nicht alt …
einen Tag.«
»Habt ihr es
adoptiert?«
»Nein. Ich habe mir
eine Gebärmutter geliehen, Papa.«
Er sieht mich mit der
erschlafften Miene eines Gehenkten an, eines, der kein Blut mehr hat.
Ich könnte ihm ein
Märchen auftischen, ihm erzählen, das Baby sei das Resultat eines Abenteuers von
Diego und ich hätte das Mädchen bezahlt, damit es nicht abtreibt und das Kind
gerettet wird. Ich könnte mich auf diesem Bettüberwurf besser darstellen, als
ich bin. Doch ich habe keine Lust, meinen Vater zu belügen, auch nicht auf die
Gefahr hin, seine Liebe einzubüßen.
Er hebt den Kopf,
schwankt im Nacken, im Rücken.
»Darüber muss ich
erst mal nachdenken, erst mal nachdenken …«
Er geht durch Flur
und Wohnzimmer zur Wohnungstür. Ruft den Hund, doch Pane rührt sich nicht vom
Fleck, er bewacht das fremde Kind, das die Einsamkeit dieser Wohnung durchbrochen
hat.
Mein Vater kommt
zurück und sieht den reglosen Hund, vornehm wie eine Statue, wie die Windspiele
zu Füßen eines Königs.
Er umarmt mich auf
dem Bett, er steht, und ich sitze, er ist groß, und ich bin klein, wie damals
als Kind.
»Wie könnte ich dich
denn allein lassen, Herrgott noch mal? Wie denn?«
Das Baby öffnet die
blinden Augen und sieht die Umrisse seines italienischen Großvaters, der seinen
Alterswohnsitz verkaufte, damit es geboren werden konnte, sein Geld landete in
den Taschen einer Punk-Madonna, einer in Nirvana verliebten Trompetenspielerin.
Es ist ein kaputtes Krippenspiel, ein hinkendes.
Mein Vater lächelt
Pietro an und sagt leise zu ihm: »Mein Schatz, mein kleiner Schatz.«
Und ich sehe, wofür
sich die Mühe lohnt, sehe das wiedergutmachende Leben, sehe meinen Vater,
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