Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das schönste Wort der Welt

Das schönste Wort der Welt

Titel: Das schönste Wort der Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: M Mazzantini
Vom Netzwerk:
denn?«
    Aus einem Loch in der
Tasche in den Stiefel gerutscht, sagt er.
    Nach dem Kind fragt
er nicht, ich bin es, die davon anfängt und ihm sagt, dass es ihm gut geht.
    In Sarajevo ist es
noch immer sehr kalt, alles wie gehabt, sagt er, denn inzwischen kann das
Schlimmste nicht mehr kommen, es ist erreicht, da geht nichts mehr drüber, es
herrscht die Monotonie des Leids, wie eine sich immerfort wiederholende Litanei,
wie ein Kleid, das über den Matsch schleift und das niemand mehr säubern wird.
    Die Verbindung bricht
ab, und wir haben schon genug geredet, fast ein Wunder. Doch wir haben uns
nichts gegeben. Keinerlei Trost.
    Ich lege auf und
spüre Sarajevo, den Geruch der Brennnesseln, der brennenden Schuhe, der Leute,
die anstehen und sterben. Du bist nicht dort, Gemma , sage ich mir. Du bist nicht dort. Es ist vorbei, du bist draußen . Ich atme tief ein, bekomme aber
keine Luft. Mein Vater bringt mir ein Glas Wasser. »Trink, mein Schatz, trink.«
    Ich weiß, warum es
mir schlecht geht. Weil mir klar ist, dass ich um keinen Preis der Welt im
Angesicht dieses Todes sein möchte.
    Mein Vater. Er ist
es, der das Baby heute Nacht wiegt, er hat sich zum Schlafen auf dem Sofa vor
dem Klavier eingerichtet.
    »Was soll mir das
denn ausmachen?«, sagte er.
    Er singt ein
Schlaflied, seine Stimme heilt die Wunden der Dunkelheit, vernäht sie. Er liebt
das Kind, er brauchte es nur anzusehen, um es zu lieben. Ich dagegen misstraue
ihm, und jedes Mal, wenn ich die Augen des Babys anschaue, denke ich an die verletzten
Augen seines Vaters, die nun niemand versorgt. Mir ist, als würde sich das Baby
dieses Leben mit großen Bissen aus Diegos Rücken stehlen, das ist es, was mich
umtreibt und was ich nicht sagen kann.
    Mein Vater stellt
keine Fragen, er hat Angst vor meinen Gedanken.
    Während er singt,
denke ich an Askas Bauch und an ihre Augen, als ich ging. Vielleicht hatten die
beiden sich abgesprochen, vielleicht wusste sie, dass er zu ihr zurückkommen
würde, und dieser niedergeschlagene Blick wimmelte eigentlich von heimlichen
Gedanken. Sie wusste, dass sie gewonnen hatte. Vielleicht hatte Diego sie
überredet, mir das Kind trotzdem zu geben, um mich loszuwerden, um mir
irgendwas zu geben. Sie könnten noch mehr Kinder bekommen, und ich würde nicht
mit leeren Händen von diesem Leidensweg zurückkehren.
    Sie hat mir gegeben,
was ich wollte, das Kind war der Preis für ihre Freiheit. Ich bezahlte ihn
nicht in Mark, es war ein Menschenaustausch. Aska hat das Fleisch meiner Liebe
davongetragen.
    Ich habe angefangen,
eine Flasche italienischen Grappa zu trinken, mein Vater sagt Schluss jetzt , ich sage Noch einen . Das Trinken bewahrt mich vor der
Hölle und bringt mich doch wieder hinein. Wieder zu ihnen. Ich schreie, ich
will dieses Kind nicht mehr, diese Hure von einer Bosniakin hat mir meinen Mann
ausgespannt, hat meine Schwäche ausgenutzt, um sich in unser Blut zu
schleichen.
    Das Blau des blauen
Kindes steht mir wieder vor Augen. Warum ist es nicht gerettet worden, statt
des Kindes dieser beiden Elenden?
    Das Baby meldet sich
wieder, mein Vater nimmt es hoch und schwenkt es wie ein Kreuz. Wie ein
Exorzist, der den Teufel zurückdrängen will.
    Denn heute Nacht ist
der Teufel in unserem Haus, in meiner kleinen römischen Wohnung mit dem weißen
Klavier. Ich schaue in die Wiege und sehe nichts als die beiden Schlangen, die
sich in jener Stadt in irgendeiner Bruchbude pausenlos verschlingen. Nur ihnen
gehört diese Rotznase, dieses Stück hungriges Fleisch. Ich hätte es dort lassen
sollen, es hätte den Spaziergang im Tragetuch mit seinem Vater und seiner
Mutter gemacht, in dieser mit Eis überzogenen Feuersbrunst.
    Der Hund bellt. Das
Baby schreit wie ein angestochenes Schwein. Mein Vater drückt es mir grob in
den Arm. Bis zu diesem Moment hat er es beschützt, jetzt lässt er es im Stich.
    »Es ist dein Kind,
mach damit, was du willst.«
    Warum geht er dieses
Risiko ein? Wo ihm so viel Dreistigkeit doch gar nicht ähnlich sieht.
    Ein paar Schritte
rückwärts und ich falle auf das Sofa. Ich lasse das Baby neben mich gleiten.
Wäre es eine Schlange, hätte es mich beißen und sich wegschlängeln können. Doch
es bleibt, wo es ist, schreiend zwischen den erstickenden Kissen und bewegungsunfähig
wie ein Käfer auf dem Rücken.
    Ich stehe auf, gehe
weg. Ich schleppe mich ins Bad und kotze Grappa. Jetzt scheint es mir nicht den
geringsten Unterschied mehr zwischen Leben und Tod zu geben, zwischen Bewegung

Weitere Kostenlose Bücher