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Das schönste Wort der Welt

Das schönste Wort der Welt

Titel: Das schönste Wort der Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: M Mazzantini
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muss. Der Junge aus Genua, mit dem ich
verheiratet war, hat mir sein Schicksal bereits angekündigt. Alles Übrige, der
in den Stiefel gerutschte Pass und sogar Aska … war nebensächlich, alles war
schon vorherbestimmt. Über Leben und Tod entscheiden wir nicht, wir können
zwischen beidem zwar einen schwierigeren Weg einschlagen und so dem Schicksal
die Stirn bieten, doch eigentlich kitzeln wir es bloß.
    Nun bin ich also
Witwe.
    Ich weiß, dass ich
reagieren müsste, doch ich starre nur die Mispeln auf dem Tisch an. Während ich
stillhalte, ist mir bewusst, dass man das nicht tun sollte, dass es später
wehtun würde, man soll weinen und außer sich geraten. Es ist gefährlich, im Lot
zu bleiben, genau da, wo man ist, und sich keinen Millimeter vom Fleck zu
rühren, während alles ringsumher zusammenbricht. Diese Heldenhaftigkeit nützt
herzlich wenig, wie auch Würde herzlich wenig nützt.
    »War es eine
Granate?«
    Und zu sprechen ist
normal.
    Mein Vater sabbert
beim Reden, aus dem gelähmten Spalt tropft etwas Speichel, als er sagt: »Ein
Unfall … Er ist von den Klippen gestürzt … am Strand …«
    Was erzählt er da?
Sarajevo liegt nicht am Meer.
    »In Dubrovnik.« Mein
Vater sagt, es sei auf einer der Inseln vor Dubrovnik passiert.
    »Was hatte er denn da
zu suchen?«
    Mein Vater weiß es
nicht, er hat nicht gefragt.
    Egal, ich will es
überhaupt nicht wissen.
    Ich sehe etwas, was
ich bereits gesehen habe und was mich seit langem erwartet hat.
    Ich stehe auf, ohne
zu wissen, warum, gehe ein paar Schritte, doch es sind die eines Huhns, dem man
den Hals umgedreht hat, die Schritte des Nervenkrampfs, der Muskeln, die die
Erinnerung an die Bewegung bewahrt haben. Ich setze mich wieder und starre weiter
auf die Mispeln.
    Fruchtfleischherzen
von einem blassen Orange. Diego konnte sie bergeweise essen, er lachte und
zielte beim Ausspucken der Kerne auf den Mülleimer.
    Diego.
    Eigentlich habe ich
es die ganze Zeit gewusst. Da ist im Grunde nichts Neues, es ist einfach nur
das Schicksal, das sich erfüllt, das sich blicken lässt.
    Ich hatte immer Angst
davor, ihn zu verlieren.
    Ich schiebe zwei
Kerne auf dem Tisch zusammen und betrachte sie. Wir waren nie so perfekt
zusammen, immer gab es etwas, was nicht passte, wie eine Kante, an der man sich
ständig stößt, oder ein Kleiderzipfel, der immer aus dem Schrank heraushängt
und einen nachts stört, sodass man sich sagt Gleich stehe ich auf und schiebe diesen
Zipfel weg .
Dann bleibt man aber doch im Bett und denkt Ich mache es morgen . Jetzt weiß ich, was das war, es war
der heutige Tag, diese Mispeln, dieser Tod. Diego war mir einen Schritt voraus
gewesen.
    Ich lächelte, er war
durch einen Sturz ums Leben gekommen, am Meer, genau wie sein Vater.
    Ich lächelte, weil es
mich nicht überraschte. Wie wenn man plötzlich die Lösung eines Rätsels findet,
das einen verrückt gemacht und gequält hat, obwohl es ganz leicht war, zu
leicht sogar, weshalb man es zunächst nicht lösen konnte. Man hat anderswo gesucht
anstatt in den eigenen Taschen.
    Ich lächelte, weil
ich nicht wusste, ob ich am Leben bleiben würde, doch das beunruhigte mich
nicht.
    Ich werde ihn nicht
mehr sehen.
    Das heißt, ich werde
seine Gnubeine nicht mehr sehen, das heißt, ich werde den Geruch seines Nackens
nicht mehr spüren. Er hat die Augen mit fortgenommen, die mich angesehen haben,
und ich werde ihn nicht mehr fragen können Wie bin ich? , und er wird nicht mehr antworten
können Du bist
du . Das heißt,
seine Stimme steckt in einer toten Kehle fest, und diese Kehle wird man
begraben.
    Gut. Das war es also.
    Ich lächle, weil mich
ein sanfter, wohltuender Wind anweht, Diego, der sich auf dem Bahnhof zu mir
umdreht, er hat diesen kleinen, grünen Plastikstuhl mitgeschleppt, hat ihn im
Zug aus Genua mitgebracht, nur um ihn mir zu zeigen, weil er als kleiner Junge
darauf gesessen hatte, und jetzt setzt er sich in der Stazione Termini mitten
im Gedränge hin, um mir zu zeigen, dass er ihm immer noch passt. Weil er dünn
wie eine Mücke ist. Wie die wirklich Armen , sagt er. Die Tagelöhner von früher und die Afrikaner. Ich lache. Er
fragt mich, ob ich ihn liebe, er sei gekommen, um sich zu zeigen, um sich wie
ein Sklave kaufen zu lassen, denn er liebe mich über alles und könne ohne mich
nicht leben. Er sagt, er wisse, dass er einen Fehler mache, dass er keinen
Charme besitze, weil er keinerlei Hemmung habe, sich dermaßen vertrottelt und
verliebt zu zeigen. Aber so bin ich nun mal ,

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