Das schönste Wort der Welt
und
Stille.
Mein Vater ist
gegangen, mit dem Hund im Schlepptau. Ich habe das Knallen der Tür gehört, er
hat sie zugeschlagen, dass die Wände wackelten, und die Welt. Er ging
aufgewühlt weg, wie ein Exorzist, der versagt hat.
Ich nehme das Kind hoch,
hebe die Arme über meinen Kopf und halte es dort oben in der Schwebe. Die Höhe
scheint ihm zu gefallen, es hört auf zu schreien. Ein paar Schluchzer sind noch
übrig und schütteln es. Das scheint ihm nichts auszumachen, so wenig, wie wenn
es spuckt. Ich lasse es eine Weile fliegen. Wir spielen eine Weile Flugzeug.
Als es auf die Erde zurückkommt, ist es ruhiger. Es verzieht den Mund zu so
etwas wie einem Lächeln. Statt es in die Wiege zu legen, behalte ich es dicht
bei mir. Ich lege es mit dem Bauch auf meinen Bauch, das habe ich noch nie
getan. Ich weiß nicht, wer von uns beiden zuerst eingeschlafen ist. Ich träume
von einer Stadt, die auf meinem Bauch liegt. Als ich die Augen aufschlage, ist
es schon Tag, es ist ein Montag, und Pietro hat die Nacht durchgeschlafen,
nicht einmal für die Milch ist er aufgewacht.
Der Anruf erreichte meinen Vater
Der Anruf erreichte
meinen Vater.
In Diegos Brieftasche
hatte man einen zusammengefalteten Zettel mit Telefonnummern gefunden. Auf der
Polizeiwache in Dubrovnik wählte man einfach die erste Nummer dieser kleinen Liste,
es war die meines Vaters. Sie stand neben dem Eintrag PAPA , und so nahm man an, diese Nummer
gehöre zum Vater dieses Jungen. Der Beamte sprach Italienisch, und so war alles
ganz einfach. Mein Vater stellte keine Fragen, er konnte keinen klaren Gedanken
fassen. Er sagte nur Ich verstehe … Ich verstehe … Ich verstehe , dreimal, wie ein Automat. Was er da
verstand, wusste er selbst nicht. Es waren die einzigen Worte, die ihm
eingefallen waren, und er hatte sie laut gesprochen, um diese Situation würdig
abzustoppen, diese Blutung, die unaufhaltsam begonnen hatte.
Mein Vater war ein
besonnener Mann, zurückhaltend und eher schüchtern. Sich gehenzulassen war
nicht seine Art. Also widerstand sein Körper dem Schmerz und sperrte ihn ein.
Als er Stunden später
an meine Tür klopfte, war sein Mund schief, wie vom Kinn nach unten gezogen,
und ein Auge kleiner als das andere.
»Was ist denn mit dir
passiert?«
Er hatte die
Gesichtslähmung gar nicht bemerkt. Zusammen mit ihm kam der Hund herein. Ich
führte meinen Vater ins Bad vor den Spiegel, und er schaute hinein, schien sich
jedoch gar nicht zu sehen oder zumindest nicht daran interessiert zu sein, er
nickte.
Ich dagegen war
entsetzt, dieses entstellte, mir unbekannte Gesicht ging mir nahe, dazu diese
teigige Stimme und die Schlaffheit des einzigen offenen Auges. Ein Arzt musste
her, Untersuchungen mussten in die Wege geleitet werden. Vielleicht war es nur
ein Kälteschaden, doch es konnte auch ein Schlaganfall sein.
Er hatte Mispeln
gekauft, die er in einer Papiertüte an sich presste und nicht aus der Hand gab.
Das war für die
Jahreszeit sehr früh, der Frühling hatte gerade erst begonnen.
»Wo hast du die denn
her?«
Wir gingen in die
Küche und setzten uns an den Tisch.
»Pietro?«
»Schläft.«
Für gewöhnlich war
das Erste, was er tat, wenn er hereinkam, dass er zu ihm lief, um nach ihm zu
schauen.
Er hat die Mispeln
gewaschen. Er nimmt eine und reibt sie mit einem Tuch ab, dann entfernt er
langsam den Stiel. Ich mustere seine Hände, um zu sehen, ob auch mit ihnen
etwas nicht stimmt. Ihre Bewegungen sind zwar sehr verzögert, doch die Finger
scheinen alle beweglich zu sein.
Mein Vater zerteilt
die Mispel und nimmt den glänzenden Kern heraus, der wie ein Herz zweigeteilt
ist.
Er reicht mir eine
Hälfte der Frucht, ich beiße hinein, sehe ihn an. Er hat das orangerote,
kernige Fruchtfleisch zum Mund geführt, kann es mit seiner schlaffen Lippe aber
nicht aufnehmen.
Mein Vater hat ein
sanftes, schön geschnittenes Gesicht, eine ebenmäßige Nase und dichtes Haar. Er
ist das, was man einen gut aussehenden Mann nennt. Manchmal sieht er auch
albern aus, wenn er die Augen etwas zu rund aufreißt und die Brauen hochzieht
oder wenn er absichtlich mit den Ohren wackelt und die Nase rümpft. Das macht
er selten und nur zum Spaß für die Kinder. Sein Gesicht wirkt ernst, weshalb
diese große Beweglichkeit überraschend ist. Als ich klein war, waren meine
Freunde ganz verrückt nach den Ohren und den Augenbrauen meines Vaters.
Diese Albernheit ist
heute Morgen wieder ganz da, auf diesem entgleisten, zu einer Fratze
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