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Das schönste Wort der Welt

Das schönste Wort der Welt

Titel: Das schönste Wort der Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: M Mazzantini
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sagt er. Ich lächle, wende ihm auf der Rückseite des Bahnhofs den
Rücken zu und denke, dass er bescheuert, ausgeflippt und auf Drogen ist. Dass
sein Rücken zu schmal ist und seine Beine zu lang sind. Ich drehe mich um, er
ist aufgestanden, doch der kleine, grüne Plastikstuhl klebt ihm noch immer am
Hintern, und so folgt er mir. Als ich stehen bleibe, setzt er sich wieder hin,
schlägt die Beine übereinander und hat zwar keine Zigaretten, tut aber so, als
würde er selig rauchen. Ich warte ,
sagt er.
    Worauf
denn?
    Auf das
Leben, ich warte auf das Leben.
    Gut. Räumen wir die
Kerne vom Tisch und werfen wir sie in den Müll.
    Mein Vater fragt:
»Was müssen wir jetzt tun? Wie macht man so was?«
    Diego war wie ein
Sohn für ihn, und nun will er wissen, wie man den Körper eines toten Sohnes
zurückholt.
    »Wir müssen das
Außenministerium anrufen.«
    »Ach so, ja.«
    Ich stehe auf und
setze die Brille auf, doch weiter tue ich nichts.
    »Falls du es nicht
schaffst, fahre ich nach Dubrovnik.«
    Wo kann er mit diesem
Gesicht denn hinfahren?
    »Du musst ins
Krankenhaus, Papa.«
    Er nickt und kann
nicht glauben, dass das alles so einfach ist, so normal.
    Das Baby wacht auf,
weil es Hunger hat, ich bereite ihm seine Milch. Mein Vater nimmt es hoch, und
es weint, weil es ihn nicht erkennt, diese Fratze macht ihm Angst, und so
merken wir, dass es inzwischen sehen kann. Dann erkennt Pietro den Geruch seines
Großvaters und lässt sich von dem schiefen Gesicht füttern. Ich sehe meinem
Vater eine Weile zu, wie er schluchzend das Fläschchen hält und das Baby mit
Tränen volltropft.
    Ich sage: »Pass auf,
Papa.«
    Er senkt den Kopf,
versteckt sich. Er schämt sich, weil ich stark bin und er schwach ist. Der Hund
schläft neben ihm, mit der Schnauze auf seinem Fuß.
    Ich blättere im
Telefonverzeichnis und suche die Nummer des Außenministeriums. Ich schreibe sie
auf einen Zettel. Sie sind informiert, doch die Stimme des Beamten sagt:
»Genaueres wissen wir noch nicht, Signora.«
    Der Himmel hat sich
bewölkt, ich lehne einen Fensterladen an, hole das Wäschegestell mit den
Stramplern und Lätzchen herein. Ich wickle das Baby und lasse es ein wenig
zwischen mir und meinem Vater liegen, es schläft nicht, das Gesicht meines Vaters
wirkt im Dämmerlicht noch düsterer, es sieht aus wie das eines alten
Geisteskranken, sein offenes Auge ist weit aufgerissen.
    Er liebte den Jungen
aus Genua, er hat ihn vom ersten Moment an geliebt.
    »Er ist arm wie eine
Kirchenmaus und fährt schwarz mit dem Zug. Er hat kein Hemd auf dem Leib.«
    Ich hielt das für
einen Vorwurf. Erst kurz zuvor hatte ich mich aus der absurden Ehe mit Fabio
gelöst. Mein Vater machte ein ärgerliches Gesicht. Dann wackelte er mit den Ohren,
rümpfte die Nase und zog eine von seinen Grimassen.
    »Aber alles andere
hat er: Also, worauf wartest du noch, du Dickkopf!«
    Später wurde er sein
Assistent, Diego nahm ihn mit, als Sozius auf dem Motorrad. So glücklich sollte
er nie wieder sein.
    Die Minuten
vergingen, in meinem Körper rieselte der Sand. Ich dachte ans Meer, an Diego
und seine sandige Haut. Ich dachte nicht an den Leichnam, hatte es nicht eilig,
mich in die Realität von Telefonen und ausländischen Stimmen zu stürzen. Ich
fühlte mich träge, lethargisch, wie eine Schwangere. Diego war zwar aus der
Welt, doch ich spürte, dass er im Leben war, dass er eingeholt worden war. Er
schwamm im Geburtswasser, in den flüssigen Wurzeln einer großen kosmischen
Plazenta. Meine Hand lag auf dem Bauch des Babys. Von ihm bekam ich diese
autistische Seelenruhe. Es lag friedlich da und gab kleine Quiekser von sich.
Es war an diese Wohnung gewöhnt und an dieses Leben. Es litt nicht unter der
Tragödie, die gab es für es nicht. Es hatte Diego nicht kennengelernt, suchte
ihn nicht mit den Augen, die es nun schon hin und her bewegen konnte. Es war
vaterlos wie sein Vater. Unversehens hatte sich sein Schicksal verlagert, doch
davon wusste es nichts, es machte nge nge .
    Seine Unwissenheit
war ein Schutzschild gegen den Schmerz, doch auch Diegos eigentlicher Tod.
    Mein Vater wollte
mich nicht allein lassen, er hatte Angst. Und sagte es mir nuschelnd. Ich hatte
seinen Arzt angerufen, der nun im Krankenhaus auf ihn wartete. Das Taxi stand
schon vor der Tür.
    »Du bist mir zu
ruhig, das macht mir Sorgen.«
    Doch ich wollte
allein sein.
    Wieder rief ich im
Außenministerium an, doch man konnte mir noch immer nichts sagen.
    Wir
warten selbst ,
sagte die Stimme.
    Mit dem

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