Das schönste Wort der Welt
reicht mir bis zum Bauch. Ich beuge mich hinunter, um sie zu küssen,
und rieche die Makrelen aus den Hilfspaketen.
Zu meinen Details
gehören: ihre Fische, die im Staub um sich schlagen.
Die erste Granate
geht in unmittelbarer Nähe nieder. Der Topf fällt vom Kocher und die Suppe
landet auf dem Boden. Die Frau schreit und verflucht den Krieg, mit den Händen klaubt
sie auf, was sie greifen kann, und sie verbrennt sich dabei die Finger.
Sebina starrt auf die
Suppe, die auf sie zurinnt und Brocken von Wintergemüse, von Notgemüse, mit
sich führt.
Sie hebt den Kopf,
sagt, sie wolle raus und ihre Mutter suchen.
Das Mädchen stockt
und sagt: Niemand
hat sie aufgehalten, das war das Absurdeste, man hätte ein kleines Mädchen doch
nicht rauslassen dürfen . Das Mädchen stockt.
Sebina läuft die
Treppen hinauf.
Das Mädchen, das
immer mit dem Arm an der Wand entlangstreift, hat sie nicht aufgehalten, sie
spielte gerade mit einem Freund Schach, die aus Korken gebastelten Figuren
waren heruntergefallen, und die beiden stritten sich, weil nicht mehr auszumachen
war, wie sie gestanden hatten.
Jetzt denkt sie
darüber nach, dass sie diesen unnützen Arm, der immer an der Wand
entlangstreifte, um ihr Gesellschaft zu leisten, dazu hätte benutzen können,
das Nachbarmädchen aufzuhalten und ihr den schwarzen Weg zu versperren.
Das Mädchen stockt.
Sie ist eine Schriftstellerin, sie weiß, dass das Schicksal wie Tinte fließt
und dass man ein Mädchen, das sterben soll, nicht aufhalten kann.
Sebina geht nach oben,
weil es so geschrieben steht. Wo denn? In welchem verdammten Buch?
Sebina hat dieses
Schnäuzchen, diese ölglatten Haare, diesen etwas quadratischen Kopf und diese
abstehenden Ohren, rosafarbene Fäden von durchscheinendem Fleisch, dazu diesen
Mund, der sich nicht beschreiben lässt und den man wenigstens einmal gesehen
haben muss, um zu begreifen, dass Lebensfreude sich ganz in einem Mund
manifestieren kann, in zwei Streifen Fleisch, die so rege wie Sternschnuppen
sind.
Sebina ist nicht
schön, das ist sie nie gewesen, sie ist die Hässlichste in der Familie und
recht klein, ihre Arme sind zu lang, und ihr Gesicht sieht aus wie das der
Puppe auf der Schachtel mit den Orangenplätzchen.
Trotzdem ist sie das
schönste Mädchen der Welt, sie ist mein Patenkind, ist das Leben in seiner
reinsten Form, so wie ein aus dem Felsen geschlagener Edelstein mit allem Licht
strahlt, das es anderswo nicht gibt.
Sie ist es, die mich
zur Mütterlichkeit gebracht hat. Jedes Mal, wenn ich sie in die Arme schloss,
sagte ich mir Dieses
Geschöpf hat etwas von mir. Und irgendwo hat es ein Geschenk für mich .
Ich erinnere mich an
ihre Ellbogen, deren Gelenkknoten unglaublich hervorstehen, an ihre Augäpfel
und an ihr Haar, das über der Stirn nachwächst wie eine Fellgardine.
Sie geht nach oben.
Wie Wasser, das den weichen Verlauf des Abschüssigen verlässt und wie eine
Flamme aufsteigt.
Mirna hat die Wäsche
stehen lassen. Die Druckwelle der Granate, die den Keller erzittern ließ, war
dort oben stark wie ein Erdbeben, Mirna wurde umgerissen und fiel neben eine
der Antennen, die mittlerweile, so ohne Strom, nur noch Schrott sind. Sie denkt
an Sebina, denkt, dass sie unten verschüttet ist. Von der Straße steigt Rauch
auf, sie muss sofort hinunter, um zu sehen, ob alle unverletzt sind und etwas eingestürzt
ist. Sie hat nie viel auf die Schutzräume gegeben, sie waren nicht für diesen
Zweck gebaut, sie waren wie jeder beliebige Keller nur dafür geeignet, Speck
aufzubewahren und alte Nähmaschinen.
Und so läuft sie
hinunter.
Ja, so ist es
gewesen.
Das bosnische Mädchen
mit der traurigen Stirn und den lichtüberfluteten Haaren sagt, es werde diese
Geschichte niemals aufschreiben, weil sie zu dumm sei, weil der Tod manchmal zu
dumm und einfach nur widerlich sei.
Aber genau so ist es
gewesen.
Sie trafen sich auf
halber Strecke, Mutter und Tochter. Sie liefen, eine nach oben und eine nach
unten, auf derselben Treppe, um sich zu finden.
Wenn sie geblieben
wären, wo sie waren, dann hätten sie ein bisschen Staub geschluckt und ein
bisschen Angst, doch weiter nichts.
Sie waren inzwischen
so weit, dass sie die belagerte Stadt verlassen wollten. Sie hatten es
eingesehen. Gojko hatte einen befreundeten Journalisten getroffen, einen aus
Belgrad, der sie mitnehmen wollte.
Doch sie hatten sich
bewegt, waren aus dem Schachspiel des Lebens ausgeschert, ohne es zu wissen.
Sie liefen, von dem Band herbeigezogen, das sie
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