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Das schönste Wort der Welt

Das schönste Wort der Welt

Titel: Das schönste Wort der Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: M Mazzantini
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einige Stunden.
    »Da bin ich
weggegangen.«
    Er zog in den Kampf,
zunächst nach Dobrinja, dann auf den Žuć.
Er war Dichter, fliegender Händler, Radioamateur, Fremdenführer, ein dummer
Kerl, der nie auch nur auf eine Taube geschossen hatte. Doch er lernte schnell, denn
Hass erlernt man über Nacht.
    Monate im Dreck, sein
Patronengurt schwer auf dem Rücken.
    »Ich konnte aber auch
mit dem Messer kämpfen und mit bloßen Händen.«
    Er bricht ab. Sie
zündeten auch ein Dorf an. Serbische Bauern, Zivilisten, die niemandem etwas
zuleide getan hatten. Er machte nicht mit. Aber er sagte auch nichts. Er blieb
auf einem Berg und rauchte.
    Pietro hört zu, er
sieht nicht mehr den Fußballern zu, er schaut einen Helden dieses dreckigen
Krieges an, einen, der am Ende medaillenbehangen wie ein Esel an einem Festtag
zurückkehrte.
    »Wie viele hast du
umgebracht?«
    Gojko lächelt,
wuschelt ihm über den Kopf, weil Pietro ihn jetzt mit anderen Augen ansieht,
mit glänzenden, erschrockenen Augen.
    »Das sind hässliche
Geschichten, die vergisst man besser.«
    »Erzähl mir eine.«
    Ich sage Hör auf, Pietro, hör auf, du Blödmann .
    Gojko zeigt auf die
Fußballspieler.
    »Irgendwann fand ich
mich so wieder, auf einem Feld, mit meinen Kampfgefährten, zum Spielen. Nur
dass da anstelle des Balls ein Kopf war, der Kopf, den wir einem Tschetnik
abgeschnitten hatten, damit spielten wir, den ließen wir auf einem grünen Feld
voller gelber und blauer Blümchen rollen. Wir schwitzten und lachten, es war
ein Spiel, es war normal, das Einzige, was uns leidtat, war, dass unsere Hosen
von dem Blut dreckig wurden, deshalb hatten wir sie hochgekrempelt.«
    Pietro sagt:
»Wirklich?«
    Gojko steht auf und
wirft die Bierflasche in den Behälter für Plastik.
    »Wirklich. Bis zu dem
Tag neulich mit dir habe ich nie wieder Fußball gespielt.«

Wir verlassen Sarajevo
    Wir verlassen
Sarajevo. Gojko geht zum Auto, ich betrachte seinen Rücken. Der Rücken ist der
Teil an dir, den du nicht sehen kannst, den du den anderen überlassen musst.
Auf dem Rücken lasten die Gedanken, die Schultern, die du abgewendet hast, als
du dich entschlossen hast zu gehen.
    So schleppt Gojko
seinen Rücken mit sich herum, eine Schulter tiefer als die andere, dort, wo er
den Schlag abbekommen hat, wo sich das Leben gewendet hat. Darauf sitzt
unverrückbar die Vergangenheit wie ein Falke auf der Schulter eines Falkners.
    Ich sehe seine Hand
an, bevor ich nach ihr greife, rosafarbenes, aufgedunsenes Fleisch. Die Hand
eines sanften Mannes, der im Radio schrie, dass man niemals, unter gar keinen
Umständen, dem Hass das Feld überlassen dürfe, ein armer Tropf, der schließlich
tötete, der dem Gesetz des Krieges folgte und sein eigenes aufgab.
    Ich frage ihn, wie er
danach zurechtgekommen sei. Als die Extreme vorüber waren und es darum ging,
sich mit dem Sumpf auseinanderzusetzen. In welchem Zustand ihn das Leben
vorgefunden habe, als er seine Tarnuniform und den Munitionsgurt abgelegt hatte,
als er sich den Dreck vom Körper wusch und wusste, dass er nie wieder so sein
konnte wie früher. Er antwortet, er habe sich eine Woche in einem Hotelzimmer
eingeschlossen, habe gesoffen und vor dem laufenden Fernseher geschlafen.
    Nur seine Gedichte erzählten
ihm von ihm, von seiner Seele aus der Zeit, bevor ihm das Böse begegnet war.
    Darum hasst er sie.
Darum hat er nicht mehr geschrieben, weil seine Seele schmutzig war und ein
Dichter sich nichts vormachen kann. Für Bosnien war er ein Held, vor sich
selbst ein Versager, ein Schlappschwanz.
    Ich nehme seine Hand,
und er lässt es zu, er schiebt sie wie ein bedürftiges, vertrauensvolles Kind
in meine. So gehen wir ein Stück, wie in den guten, alten Zeiten, als die
Menschen, die wir liebten, noch am Leben waren. Pietro beobachtet uns und hält
uns vielleicht für verrückt. Bevor wir wieder ins Auto steigen, fragt mich
Gojko: »Findest du mich abscheulich?«
    Ich schüttle den
Kopf.
    Er küsst mir die
Hand, bevor er sie mir zurückgibt, Danke .
    Die Straße ist zwar keine
Autobahn, doch ich habe sie mir schlimmer vorgestellt. Wir fahren bergauf ins
Dunkelgrün des Waldes. Es ist so heiß, dass man anhalten und frische Luft
schnappen möchte. Die Bäume sind unversehrt. Hier wurde gekämpft, und das
Gelände ist noch vermint. Doch die Natur ist intakt, dieser Wald lässt nur an
Pilze, an Brombeeren und an die Feuchtigkeit denken, die unter den
Tannenwäldern liegt.
    Pietro hat sich nach
vorn gesetzt, er schaut gern auf

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