Das schönste Wort der Welt
ihre
Wahrnehmung erweitert, sich dehnt, sich über Kilometer erstreckt wie die der
Tiere, sie muss die Welt ringsumher wahrnehmen, um nicht in diesem Zimmer isoliert
zu bleiben, in diesem noch verschmierten, verwischten Alptraum. Sie riecht den
Pfannkuchenduft, der sich mit dem Geruch der Männer mischt. Sie stinken, nach
Erde, Schweiß, Schnaps. Offenbar haben auch sie Angst, sind nervös, laufen hin
und her, treten gegen die Türen. Sie hört Frauenschreie, rau wie die einer
Katze. Vielleicht von einer der Studentinnen aus Zenica. Vor kurzem hat sie sie
auf dem Gang reden und herumalbern hören, sie waren mit dem Zug zur
Demonstration angereist. Sie sieht etwas auf dem Gang vorbeigleiten, einen
Körper, der an den Haaren weggeschleift wird. Sie stellt sich keine Fragen,
lässt das Bild vorüberziehen, es scheint aus einer anderen Welt zu kommen. Sie
weiß, dass sie nicht schreien wird. Sie ist ein freies Mädchen, aufgewachsen in
einer freien Stadt. Sie glaubt noch immer, dass Reden genügen könnte, um die
Männer zu beschwichtigen. Das müssen alles junge Kerle sein, ungefähr in ihrem
Alter.
Sie überlegt, was
wohl aus Diego geworden ist, vielleicht hält man ihn fest. Sie wartet darauf,
dass er auftaucht. Er ist ein ausländischer Fotograf, diese Idioten fürchten
sich doch vor der internationalen Presse.
Der Anführer studiert
ein Blatt Papier, vielleicht den Stadtplan, er tuschelt mit dem Fettkloß. Dann
starrt er sie an, sagt, sie solle Trompete spielen. Aska versucht es, sie spürt
ihre Finger nicht mehr und hat kaum Luft in der Brust, doch sie drückt diesen
ganzen Rest in das Messingmundstück.
Diego hört die
Trompete und stellt sich Askas Wangen vor, die sich aufblähen wie die eines
Fisches.
Sie setzt zu einer
fröhlichen Melodie an, zu einem kleinen Musikstück mit hohen Tönen, wie aus
alten Stummfilmen. Sie steht vor dem Wolf wie das Lamm in der Erzählung von Andrić, auch sie ist widerspenstig und weit
weg von der Herde. Sie hofft allen Ernstes, es könnte genügen, zu musizieren,
um den Wolf aufzuhalten. Doch ihr ist klar, dass sie so gut nicht ist.
Sie sieht ihre
Zukunft vor sich, wie sie sie sich ausgemalt hatte, eine Bühne, überflutet mit
Blasen aus Licht und Rauch, die wie Dampf aufsteigen, ganz wie in den
Nirvana-Konzerten.
Der italienische Fotograf
hat Ähnlichkeit mit Kurt Cobain, sie denkt an seinen Hals, es ist das
zärtlichste Bild, das ihr in den Sinn kommt, dieser Kuss vor wenigen Minuten,
dieses lächelnde Gesicht hautnah an ihrem. Er fuhr ihr danach mit dem Daumen
über die Lippen, als wollte er ihren Mund nachzeichnen. Vielleicht empfindet
auch er etwas für sie.
Der Anführer sagt,
sie solle aufhören mit dieser Trompete, die ihnen in die Ohren krächzt. Es
stimmt, das Lamm hat keinen Atem, es fabriziert nur Furzgeräusche. Sein ganzer
Atem ist von der Angst weggesaugt. Er befiehlt ihr, sich auszuziehen.
Diego steht hinter
dem Spalt, sieht die herunterfallende Trompete. Sieht Aska, die in ihren
gestreiften Strumpfhosen hüpft und stolpert. Sieht, dass sie sie hochziehen.
Auf dem Bett liegt
dieses Gewehr, eine Kalaschnikow, eine Bazooka, weiß der Himmel. Sie fragt
sich, was für ein Zimmer das ist und ob das, was passiert, wirklich wahr ist.
Sie haben ihr das
Gewehr zwischen die Brüste gepflanzt, haben auf die Wand geschossen, um sie
gefügig zu machen. Sie erstarrte und sah sie an. Sie möchte sich ausziehen,
ihnen gehorchen, doch nun weiß sie nicht mehr, wo ihre Arme und ihre Hände
sind. Sie sind wie die Ruder eines zum Verrotten liegen gelassenen Bootes. Sie
muss nur an die Häkchen kommen, der Stoff klebt vom Schweiß, der ausbricht und
ihr den Blick trübt. Zwei Hände kommen näher und zerreißen ihren BH . Aska sieht eine Brustwarze zwischen
den Stofffetzen, sie weiß nicht, ob das wirklich ihre ist oder die einer
anderen Frau, die ihrer Mutter oder einer Freundin.
Sie begreift, dass es
keine Rettung gibt, dass hier bei ihr der Tod ist. Reglos auf diesen Gewehren,
die sie in Schach halten. Sie hat nicht vor, sich zu widersetzen, sie will
leben. Sie ist noch da, auch wenn sie sich nicht bewegen kann, auch wenn sie
nicht mal einen Arm gehoben hat, um sich zu verteidigen. Sie spürt, dass dies
schon öfter geschehen ist, dass es kein Zufall ist, dass diese Männer das nicht
zum ersten Mal tun. Sie scheinen nicht mal erregt zu sein, da ist keinerlei
Verwirrung, diese Bewegungen sind bereits trainiert. Sie beschimpfen sie,
ohrfeigen sie ohne rechte Überzeugung,
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