Das schönste Wort der Welt
taubenblauen Hängeschränken und einer Lampe wie ein umgedrehter
Pilz. Er spielt mit den Krümeln auf dem Tisch und starrt auf meine Hand am
Henkel der Tasse. Er lässt uns in Ruhe, macht keine Bemerkungen. Wir sind weder
fröhlich noch traurig, nur jeder für sich.
Ich nehme meine
Brieftasche. Ich möchte Gojkos Gastfreundschaft bezahlen, das Essen und das
Bettzeug, das gewaschen werden muss. Er wirft einen Blick auf das Geld, auf all
die Dinare, die ich noch habe. Er ist pleite, wie immer, doch er wehrt mich mit
einer energischen Bewegung ab.
Ich sage, er müsse
mich in Rom besuchen, dann werde er mein Gast sein.
Er sieht uns an,
sterbenselend.
»Warum reist ihr denn
ab?«
Ich gehe mir die
Zähne putzen. Ich weine, mein Mund ist eine weiß schäumende Kloake, die sich
nicht mehr schließen lässt. Ich wische mir die Schminke ab, die ich noch unter
den Augen hatte. Komme mit meiner Tasche zurück. Diego spielt mit einem Jo-Jo.
Gojko dreht sich weg, beugt sich über das kleine Spülbecken und wirft die
Tassen hinein, sein Rücken brummelt, er ist tief bewegt.
»Ihr seid zwei bakalar , zwei Stockfische.«
Vierundzwanzig Jahre
später sitze ich in einem weitläufigen Raum mit einer zu niedrigen Decke mit
meinem Sohn beim Frühstück. Tageslicht gibt es hier nicht, nur Neonröhren, wir sind
im Souterrain des Hotels. Rings um uns her viele bereits schmutzige Tische und
einige, an denen sich die Männer, die sich am Vorabend in der Hotelhalle
miteinander unterhalten haben, nun wieder unterhalten, viele von ihnen rauchen
auch schon wieder. Pietro beschwert sich über den stinkenden Qualm und das
Essen.
»Gibt es denn hier
gar nichts Normales?«
»Was meinst du mit
normal?«
»Ich meine ein Croissant,
Mama.«
Ich stehe auf, um ihm
Butter für sein Brot zu holen. Spähe in die Metallbehälter, die so trostlos wie
die einer Mensa sind, und angle mir einen Joghurt und ein Stück Kirschtorte.
Ich habe Hunger, habe einfach Hunger. Ich bestreiche Pietros Brote mit Butter
und sage ihm, dass der einheimische Honig ausgezeichnet sei. Das Mädchen aus
der Küche kommt zu uns. Sie trägt Kellnerkleidung, weiße Bluse, schwarzer Rock,
kurze Schürze. Pietro mustert sie aufmerksam. Sie ist jung, wohl fast noch ein
Kind, hat ein ovales, beinahe transparentes Gesicht und große, gelbliche Augen.
Sie fragt, ob wir etwas Heißes trinken möchten. Ich bestelle einen Tee, Pietro
fragt, ob sie Cappuccino haben. Das Mädchen kommt mit meinem Tee und mit einer
großen Tasse dunkler Milch für Pietro zurück. Als sie sie vor ihm abstellt,
lächelt sie, auf der Stirn hat sie kleine Pickel. Pietro beäugt diese
vollkommen schaumlose Brühe, versucht etwas zu sagen, kennt aber das englische
Wort für Schaum nicht und bricht mitten im Satz ab. Das Mädchen lächelt ihn
weiter an. Dann geht alles blitzschnell, vielleicht ist das Tablett nass, die
Teekanne fällt zu Boden und geht zwar nicht kaputt, da sie aus Metall ist, doch
ihr voller Strahl trifft Pietros helle Jeans.
Er springt wie
angestochen auf, weil er sich das Bein verbrannt hat, hüpft herum und hält sich
den kochenden Stoff von der Haut. Das Mädchen steht da wie vom Donner gerührt.
Sie entschuldigt sich, sie arbeite erst seit ein paar Tagen hier. Ihr Englisch
hat einen leicht slawischen Akzent. Pietro knöpft sich die Jeans auf, lässt sie
bis auf die Knöchel rutschen, steht in Unterhosen da und pustet auf seinen
Schenkel. Auf Italienisch knurrt er behindertes Trampeltier , doch so gemein er auch gerade ist,
auf Englisch sagt er Don’t worry … It’s okay .
Das Mädchen
entschuldigt sich immer noch, sie bückt sich, um die Teekanne aufzuheben. Aus
der Küche ist eine stämmige Frau mit Schürze und kurzem, lockigem Haar
herbeigestürzt. Sie redet schnell auf das Mädchen ein, man versteht kein Wort,
doch es ist klar, dass sie sie zusammenstaucht. Die Wangen des Mädchens sind
jetzt rot, sie glühen. Pietro hat die Jeans wieder hochgezogen, tippt der
Walküre auf die Schulter und sagt It’s my fault, the girl is very good, very
much good ,
dann hängt er ein sinnloses indeed an.
Die Frau geht weg,
und Pietro setzt sich.
»Es heißt nicht very much good .«
Er beschwert sich,
dass ich ihm ständig auf die Nerven gehe, selbst dann, wenn er sich gut
benimmt.
Ich muss lächeln,
denn diesmal hat er recht.
Ich sehe ihm beim Essen
zu, sehe seine weißen, schiefen Zähne, die das Brot zermalmen. Sehe die
Kellnerin aus Sarajevo, die ihn anlächelt und sich mit einer kleinen
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