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Das schönste Wort der Welt

Das schönste Wort der Welt

Titel: Das schönste Wort der Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: M Mazzantini
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Verbeugung
bei ihm bedankt.
    Wir verabschiedeten
uns auf dem Flughafen. Lehnten eng zusammen an der Wand. Diego fuhr mit den
Händen in meinen Mantel und suchte die Wärme meines Körpers. Ich ließ ihn suchen.
Alle anderen waren schon gegangen. Wir standen noch da, reglos neben der Reihe
leerer Sitze. Dann drehte ich mich um und ging. Ich sah ihn an der Glaswand, er
klopfte wie ein Vogel mit dem Schnabel. Ich hatte geweint, und jetzt schrie er
mir zu, ich solle lächeln, solle unbedingt glücklich sein, auch ohne ihn.

Ich kroch in mein Leben zurück
    Ich kroch in mein
Leben zurück wie in einen Sack, und als der Blindenverband wegen der
Kleidersammlung vorbeikam, verschenkte ich den langen Anorak, den ich all die
Tage in Sarajevo getragen hatte. Ich zog wieder meinen Stadtmantel an, der mir
wie auf den Leib geschnitten war. In den Fluren der Universität waberten die
Stimmen der Studenten, die aus den Vorlesungen kamen, Echos noch unbeschwerter
Leben, weit entfernt von meinem. Mit Fabio gab es keine Probleme, ich brauchte
ihm nur die Wahrheit zu sagen: dass ich müde war und ein bisschen depressiv. Er
verlangte keinerlei Rechenschaft von mir. Er war ein toller Kerl, die Gründe
für mein Unwohlsein fand er gleich selbst heraus. Er sagte, das sei normal, ich
hätte zu viel gearbeitet und verlangte mir zu viel ab. Wir schliefen nicht
miteinander, dafür war keine Zeit. Wir trafen uns, wenn wir bei seinen
Verwandten vorbeischauen wollten, um ihnen die Heiratsanzeige zu bringen.
Unsere Geschichte war nett und zahm. Ich sah Fabio an, beobachtete ihn, wenn er
mit seinem nachdenklichen Blick Auto fuhr. Er arbeitete in einem Ingenieurbüro,
das ihm sein Vater nach und nach überließ, sie bewarben sich ständig um öffentliche
Aufträge, Multifunktionsräume, Grünflächen, Sozialzentren. In diesem Büro,
zwischen den senkrechten, mit Folien bespannten Reißbrettern, hatten Fabio und
ich uns das erste Mal geliebt. Ich war damals noch Jungfrau, er erzählte
irgendwas von einer Affäre vor mir, doch er war so übertourt, dass ich ihm das
nicht abkaufte. Jetzt erinnerte ich mich an nichts mehr von uns beiden dort, in
diesem leeren Büro, das über Jahre unser Samstagabendnest gewesen war. Fabio
war der Juniorchef, er benutzte das Bidet in dem kleinen Bad, in dem nie die
Duftkapsel fehlte, die die Wasserspülung hellblau färbte. Das Bad ist frei , sagte er. Er sah mich an, wenn ich
nackt durch den Raum ging: Du hast lange Beine . Oder: Du hast
die Brust einer Statue … Der professionelle Blick, den er auch bei der Zementkalkulation
hatte.
    Ich betrachtete sein
Gesicht, das den Verkehr beobachtete, seine Gedanken verkeilt in irgendein
Problem in puncto Baustelle, Anlagenbau, Entwässerung. Mir gefiel der Geruch
seines Autos, die Packung Schokoladenkekse, die er mitbrachte und die wir nach
dem Sex aßen. Ich fragte mich nicht, warum wir ein so großes Bedürfnis hatten,
uns danach den Mund zu zuckern, warum er es so eilig hatte, sich zu waschen,
sich meine Körpersäfte vom Schwanz zu spülen. Angekleidet ging es uns besser,
in den Restaurants, in die er mich ausführte, nahm er mir den Mantel von den
Schultern und studierte die Weinkarte. Er war vierunddreißig, ein gestandener Mann,
und ein gesetzter. Ich war fast dreißig und kleidete mich damenhaft, weil ihm
das gefiel. Unser Einvernehmen war still und stabil. Der gute Geruch eines Lebens,
das uns nie ohne Deckung lassen würde.
    Inzwischen gingen wir
fast jeden Abend zum Priester. Wir waren beide nicht besonders gläubig, doch
uns gefielen diese Gespräche vor der Hochzeit, der Geruch der Sakristei, das
Türchen, an dem wir läuteten, die näher kommenden Schritte des Priesters, seine
Stimme, Nur zu,
Kinder, kommt rein .
Er war ein stämmiger, temperamentvoller Bursche, der in ein zu enges Gewand
gezwängt war und noch Theologie an der Katholischen Universität studierte. Er
sprach wie ein Freund mit uns, klärte uns über das Sakrament auf, das wir uns
mit Leidenschaft spenden sollten, und bat um Verzeihung, bevor er uns
indiskretere Fragen stellte. Dort drinnen fühlte ich mich sicher. Es war ein
sauberer Raum, ein Warteraum. Ein Raum der Läuterung. Mit seiner Ordnung und
Bescheidenheit erinnerte er mich an manche Räume in Sarajevo. Ich hatte keine
Schuldgefühle. Es war, als wäre ich meinem zukünftigen Ehemann zu nichts
verpflichtet, nicht in diesem Sinn. Das Messer saß fest in meinem Bauch, doch
es tat nicht weh. Ich hatte nicht die geringste Absicht, an der

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