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Das schönste Wort der Welt

Das schönste Wort der Welt

Titel: Das schönste Wort der Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: M Mazzantini
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Tabletts, die über die Treppen schlingern, Geschubse, Gestank
nach Fleisch, nach Bratfett. Vor dem Klo ist eine Schlange. Ich stehe mit Mädchen
an, die sich in der Zwischenzeit schminken und zu allem ihren Senf dazugeben.
Ich bin allein, mit geschwollenem Busen, in der Schlange vor dem Klo.
Schließlich gehe ich hinein, warmer Pissegeruch, Plätschern hinter den
Trennwänden. Ich lese den Beipackzettel, überschwemme das Stäbchen, verschließe
es. Warte.
    So habe ich es
erfahren, mit dem Rücken an einer mit Liebesbotschaften und Schweinereien
vollgeschmierten Tür, ein Fuß auf der Kloschüssel, die Augen starr auf dem
Teststäbchen. Der blaue Strich erschien zunächst schwach, dann stärker neben
dem anderen. Ich steckte das Stäbchen in die Manteltasche. Ging los, blieb an
der Ara Pacis stehen, um es noch einmal zu überprüfen. Der Strich war da, blau
wie das Meer.
    Diego rief an. Das
leise, nächtliche Klingeln des Telefons, genau in dem Augenblick, als ich ihn
anrufen wollte. Wir sagten uns nicht viel, in Genua regnete es. Der Regen war
unter den Worten zu spüren. Ich sagte ihm, nach meiner Heirat könne er mich
nicht mehr anrufen. Er sagte, er wisse das, er nutze die letzten Tage. Dann
fragte ich ihn, ob es denn wahr sei.
    »Was?«
    »Dass du innerhalb
weniger Stunden nach Rom kommen würdest.«
    Er ließ mich nicht
ausreden. Ich glaube, er schrie und sprang herum, es war nicht ganz klar, was
er da tat.
    Er fuhr zum Bahnhof
und nahm den ersten Nachtzug. Er hatte sogar ein Geschenk für mich. Was für ein Geschenk? Du wirst schon sehen. Er sagte, er werde mich ausziehen und
vom Kopf bis zu den Füßen lecken. Bis ihm die Zunge herausfalle.
    Doch so ging es
nicht. Es ging so, wie es ihm gefiel. Ich habe es sofort verloren, noch in
derselben Nacht, dieses gerade erst entstehende Kind. Es war nicht der Rede
wert, körperlich. Ich schlief und habe weitergeschlafen. Am nächsten Morgen sah
ich das Blut. Ich wusch mich, war im Spiegel wie versteinert. Auch an diesem
Morgen war ich nicht bereit zu leiden. Ich verließ sofort das Haus, es war zwar
nicht unbedingt nötig, doch ich ging trotzdem ins Krankenhaus. Die Frauenärztin
war alt, sie untersuchte mich und sagte, es gebe keine Probleme, ich brauchte
nichts, oft bemerke man so eine Schwangerschaft nicht einmal, der Körper
entsorge sie schnell von allein. Das sind blinde Eier , sagte sie, Fruchtblasen mit einem verkümmerten Embryo . Ich bedankte mich, gab ihr die Hand,
schüttelte ihre vielleicht mehr als nötig, wollte sie noch etwas fragen, wusste
aber nicht mehr was.
    Auf dem Motorroller
schloss ich die Augen, ich stand an einer Ampel. Mir fielen die Eier ein, die
meine Mutter mir zu Ostern zum Bemalen gegeben hatte, sie entleerte sie mit
einer Garnierspritze, damit sie nicht anfingen zu stinken.
    Diego würde in Kürze
am Bahnhof sein. Ich ging in eine Kaffeebar frühstücken. Aß eines dieser
überdimensionalen Hörnchen, die wie große Ohren aussehen. Die Marmelade erinnerte
an Ohrenschmalz. Es ging mir nicht schlecht, der Arztbesuch, der ruhige Tonfall
der Gynäkologin hatten mich wieder ins Lot gebracht. Ich dachte sogar, es sei
gut so. Nun fielen auch die letzten Reste dieses Jungen von mir ab. Diese
Geschichte hatte nichts Glaubwürdiges, nur billige Knalleffekte, Fechthiebe
einer nach dem anderen, wie im Puppentheater.
    Ich sah ihn ankommen.
Sein Kopf ragte aus dem Zugfenster, seine langen Haare im Wind wie eine
zerrissene Fahne. Er stand ganz vorn, bereit hinauszustürzen. Er suchte mich
wie einer, der aus dem Krieg heimkehrt. War auf seinen dünnen Beinen
herausgesprungen. Was hatte er bloß an? Eine merkwürdige Fliegerjacke und rote,
röhrenförmige Hosen, in denen seine Beine noch dünner wirkten. Er sah kleiner
aus als sonst, wie ein Sechzehnjähriger. Wie einer von denen, die zum Fußball
und zu Demonstrationen gehen. Ich beobachtete ihn vom anderen Bahnsteig aus,
versteckt hinter einer dicken, viereckigen Säule mit Marmorsitzen. Ich wäre ihm
gern um den Hals gefallen wie ein kleines Mädchen. Stattdessen wartete ich wie
ein Mauergecko. Manchmal ist man mit dreißig älter als mit fünfzig.
    Da stand er nun, der
Trottel, und sah sich mit offenem Mund um. Der Bahnsteig hatte sich geleert,
und er stand immer noch da. Ich würde jetzt gehen, ja, das würde ich. Stank er
nach Zug, oder hatte er noch seinen typischen Geruch? Ich spähte weiter zu ihm
rüber. Es war ein trübseliges Spiel, wie in einem dieser Autorenfilme mit
Bahnhöfen und

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