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Das schönste Wort der Welt

Das schönste Wort der Welt

Titel: Das schönste Wort der Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: M Mazzantini
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ist
unschlüssig, ob er die Leute grüßen oder einfach geradeaus schauen soll, wählt
einen Mittelweg und grüßt nur mit den Augen, er zittert. Wenn in einigen
Jahrzehnten sein Sarg durch denselben Gang an denselben Bänken vorbeikommt,
wird er sich mehr in seinem Element fühlen, und ich werde mich nach diesem
umnachteten Tag zurücksehnen, nur seinetwegen, nur wegen seines Holzarms, der
mich führte, als wäre ich in den Tiefen meines Schleiers aus Glas. Hätte ich zu
ihm gesagt Lass
uns von hier verschwinden , hätte ich mich zu seinem Ohr geneigt und ihm das zugeflüstert, dann
hätte er mit keiner Wimper gezuckt. Sein Arm wäre wieder weich geworden, wäre
wieder Fleisch geworden, er hätte mich bei der Hand genommen, ich hätte meine Stöckelschuhe
weggeworfen, wir wären über den Kirchplatz davongerannt und hätten all die
gestelzten Niesfische hinter uns gelassen. Mein Vater hatte ein kleines
Lieblingsrestaurant in San Giovanni, Spaghetti mit Käse und viel Pfeffer.
Dorthin wären wir entwischt und hätten uns die Pasta mit einem Viertel Rotwein
schmecken lassen. Wie hätte ihm das gefallen! Ein Festessen für Huren, ich im
Brautkleid, das auf den Strohstühlen unter meinem Hintern zerknautscht, und er
mit leuchtenden Augen, so verrückt wie meine. Doch das passt nicht hierher.
Weil es nicht stattgefunden hat. Mein Vater setzte sich auf die Bank, meine Mutter
rückte etwas beiseite, um ihm Platz zu machen. Er hustete. Meine Mutter: das
Gesicht angespannt, die Schuhe zu eng. Meine Schwiegermutter: ein Vogel wie ihr
Sohn, möwenfarbige Seide, Haare wie Staub, Sommersprossen und Verschwommenheit.
Mein Schwiegervater, der Ingenieur: weißhaarig, kräftig, hochelegant und genervt
von diesem Kirchenbesuch.
    So habe ich meinen
Ehemann geehelicht. Ich las den Schwur ab. Wir steckten uns die Ringe an, ohne
sie fallen zu lassen. Reis regnete auf uns nieder. Ein verdammter Fotograf
fotografierte. Wir gingen mit dem Korb voller Hochzeitsmandeln zwischen den
Gästetischen umher. Es gab Gesänge und Reden. Ich lächelte unentwegt, auch wenn
ich allein zur Toilette ging, um mich klaglos etwas zu erfrischen. Die Korsage
stand mir gut, sie sah aus wie ein steifes Blütenblatt, wie ein kleiner Panzer.
Die Alten waren gegangen, übrig blieben die Jungen, die Freunde. Wir tanzten
barfuß auf dem Rasen, Fabio mit freiem Oberkörper, nur in Hosen und Zylinder.
Ein Rock ’n’ Roll, er zog mich an sich, als wäre ich eine Sprungfeder, war
vollkommen erledigt, stockbetrunken.
    Wir gingen in unsere
Wohnung. Weiße Wände, Parkett, kaum Möbel, ein Biobett, das nach Vogelfutter
stank, und ein zu großer Kühlschrank.
    Szenen einer Ehe.
    Fabio kommt aus dem
Büro, ich höre die Schlüssel, höre seine Bewegungen. Ich sitze auf dem Sofa,
stehe nicht auf. Begrüße ihn von dort aus.
    »Wie geht’s?«
    Er geht mit dem
Rücken zu mir vorbei.
    »Ich muss ins Bad.«
    Fabio vor dem
Fernseher, sein Gesicht blass im Dunkeln. Fabio, der den Kühlschrank öffnet:
»Was essen wir?« Fabio nachts am Fenster, wie er auf die Straße schaut. Fabio
im Kino, mit Brille, den Mund geschlossen, sein Atem, der ein wenig anders ist,
als er ihn wieder öffnet, er ähnelt dem seines Vaters. Fabios Sachen durch das
Bullauge der Waschmaschine, er war laufen, jetzt duscht er, kommt nackt heraus,
tropft auf das Holz, ich sehe den nassen Boden an, sehe seinen blonden Körper
an. »Was ist?«, fragt er.
    »Nichts.«
    Zum Abendessen bei
seinen Eltern. Der Tisch oval, poliert, die Schiebevorhänge lang, Fabio trägt
eine Krawatte aus blauem Garn, unterhält sich mit seinem Vater. Kalkulationen
für eine Müllkippe. Seine Mutter hat Hühnchen in Aspik gemacht, ich lächle der
Philippinerin zu, die die Teller abräumt.
    Zum Abendessen bei
meinen Eltern. Mein Vater sagt keinen Ton, meine Mutter steht ständig auf. An
der Tür sage ich, sie sollen mir den Müll mitgeben. Fabio beschwert sich im
Fahrstuhl über den Gestank, sagt, ich benähme mich abartig, hätte keine Achtung
vor ihm.
    »Entschuldige, wegen
einer Mülltüte?«, antworte ich, während ich den Hebel hochdrücke, der den
Container öffnet.
    »Nicht nur deswegen …
sondern überhaupt.«
    Ich sage, ich hätte
keine Lust auf Diskussionen, ich sei müde, hätte den ganzen Tag gearbeitet.
    »Ich war bis spät in
der Universität.«
    »Das ist doch keine
Arbeit.«
    »Und was ist es
dann?«
    »Das wird nicht
bezahlt.«
    Wir lieben uns nicht,
liegen eng nebeneinander im Bett und unterhalten uns, über unsere

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