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Das schönste Wort der Welt

Das schönste Wort der Welt

Titel: Das schönste Wort der Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: M Mazzantini
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erinnern, aber so ist es ganz und gar
nicht. Auch sie scheinen zu wissen, vorsichtig folgen sie den Schritten der Erwachsenen.
Es sind die Kinder, die geboren wurden, und auf ihnen liegt das unsichtbare
Universum der anderen, derer, die nicht zur Welt kommen und ihr irdisches
Schicksal durchlaufen konnten.
    Ich betrachte Pietros
Nacken im Regen. Von Zeit zu Zeit bleibt er vor einem Schaufenster stehen, die
Waren interessieren ihn nicht, er interessiert sich für die Preise in
Konvertiblen Mark, er interessiert sich für deren Umrechnung in Euro. Er sagt,
die Sachen seien ziemlich
billig . Dann
überlegt er es sich noch einmal, aber so billig nun auch wieder nicht . Er fragt Gojko nach den derzeitigen
Einkommen. Ich wusste gar nicht, dass sich mein Sohn für Ökonomie interessiert.
    »Eine, die als
Kellnerin im Hotel arbeitet, was verdient die?«
    »Einhundertfünfzig,
zweihundert Euro.«
    Ich muss lächeln.
Pietro rümpft die Nase, er ärgert sich über mich.
    »Was denn?«
    Das Wasser tropft von
den Dachrinnen, von den Balkons, von den Vordächern.
    Wir gehen über die
Lateinerbrücke, auf der Franz Ferdinand ermordet wurde.
    »Man hatte die
Gedenktafel für eine ganze Weile abgenommen, weil Princip Serbe war, doch für
die Touristen hat man sie jetzt wieder hingehängt, von dem Wort Held gereinigt.«
    Auf dem Platz, auf
dem Schach gespielt wird, haben die Alten alle einen Schirm. Sie spielen
unbeirrt im strömenden Regen, hin und wieder bücken sie sich, um die großen
Springer und Bauern auf dem Spielfeld zu verschieben, das auf das Pflaster
gemalt ist. Pietro macht Fotos mit seinem Handy. Ungläubig steht er vor diesen
alten beharrlichen Spielern.
    »Das sind fast alles
Bauern, Leute, die erst später zugezogen sind. Die Stadt ist ländlicher
geworden. Jahrelang habe ich keinen Menschen wiedererkannt.«
    Wir schlendern noch
ein bisschen weiter, und der Regen hört auf, zunächst lässt er nach, dann
fließt er über die Abflussrinnen ab. Der Himmel ist noch schwer, doch für den
Augenblick schweigt er. Pietro ist nass bis auf die Haut. Er mag es, nass zu
werden, krank zu werden. Eine Nacht lang zu glühen und schon am nächsten Tag
wieder topfit zu sein. Bei all der Nässe bekommt er Durst, er macht an einem
Kiosk Halt und stürzt eine eiskalte Coca-Cola hinunter. Er schaut auf den Boden
und fragt, was das für rote Farbspritzer auf dem Asphalt seien.
    Es sind die Rosen von
Sarajevo, sie zeugen von Toten und Granaten. Wir gehen über die Rose, die an
das erste Massaker erinnert, das an den Menschen, die nach Brot angestanden
haben. Gojko sieht mich kurz an, ich öffne den Mund und schließe ihn wieder.
    Wir gehen über die
Straße, biegen um eine Ecke, noch mehr Rosen, noch mehr rote Farbspritzer,
verblasst vom Kommen und Gehen der Leute, die sich auf dem Obst- und
Gemüsemarkt drängen.
    »Irgendwann haben sie
behauptet, wir hätten selbst auf uns geschossen, um ins Fernsehen zu kommen, um
die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit auf uns zu ziehen.«
    Die Stände sind
farbenfroh und viel ordentlicher, als ich sie in Erinnerung hatte. Die Tafel
mit den Namen der Toten hängt weiter vorn an einer grauen Steinmauer, sie ist
sehr eindrucksvoll. Es ist die Aufzählung von Lebenden, die dem Leben entrissen
wurden, alle im selben Moment, mit demselben Flügelschlag ein und desselben
Teufels. Unversehens frage ich mich, wo dieser Teufel wohl jetzt ist, ob er
inzwischen weit genug weg ist oder ob er noch hier in der Nähe herumhinkt.
    Gojko hat vor kurzem
etwas gesagt, was mir einen Schauer über den Rücken jagte.
    »Viele in Sarajevo
denken, dass der Krieg nicht vorbei ist, sondern nur unterbrochen wurde.«
    Wir gehen die Treppe
zu einem kleinen Restaurant hoch, das direkt über dem Markale liegt, der
Markthalle. Es ist eine Art Galerie mit Tischen und Bänken aus Holz und mit
Blick auf den darunterliegenden Markt, es scheint in einem Bahnhof vom Beginn
des letzten Jahrhunderts zu liegen. Unten sehe ich Käse in Bottichen, weiß wie
Kreidestücke. Gojko zeigt mir den einzigen Stand, der noch Schweinefleisch
verkauft, man hat ihn nach hinten verbannt, an eine abgelegene Stelle.
    Pietro will wissen,
was die Leute aus Sarajevo gegen Schweinefleisch haben. Gojko erklärt ihm, dass
sie inzwischen fast ausschließlich Bosniaken sind, also muslimische Bosnier,
und dass Muslime kein Schweinefleisch essen. Pietro sagt, das wisse er, er habe
es gelernt, als er eine Hausarbeit über die drei monotheistischen Religionen
geschrieben

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